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Alltagsgeschichten aus dem alten Schlieren

Die beiden Historiker Bruno Meier und Verena Rothenbühler erzählen in einem neuen Buch die Geschichte Schlierens zwischen 1750 und 1914 anhand des damaligen Alltags der Einwohnerinnen und Einwohner. In dieser Zeit entwickelte sich Schlieren von einem verschlafenen Bauerndorf zum florierenden Industriestandort.

«Sie wäre prädestiniert gewesen, die Geschichte von Schlieren zu schreiben», sagen die beiden Historiker Bruno
Meier und Verena Rothenbühler von ihrer Berufskollegin Ursula
Fortuna. Aus Köln zugewandert, verbrachte diese ihr ganzes Leben in Schlieren, protokollierte Gemeindeversammlungen und Stadtratssitzungen, dokumentierte das alte Schlieren im 18. und 19. Jahrhundert, betrieb Familien- und Häuser­forschung, schrieb für die Jahrhefte. Fortuna war alleinstehend und hatte keine Nachkommen. Als sie 2011 starb, vermachte sie dem Staatsarchiv des Kantons Zürich testamentarisch ihren wissenschaftlichen Nachlass und ein Legat von rund 250‘000 Franken «für historische Forschungen zur Geschichte der Gemeinde Schlieren durch kompetente
Historiker.»

Um dem Charakter Schlierens als Ort «zwischen Zürich und Aargau» gerecht zu werden, schlossen sich die Staatsarchivare der Kantone Zürich und Aargau zusammen und liessen in der Folge abklären, welche thematischen Schwerpunkte sich gut eignen würden für die historische Untersuchung im Sinn von Fortuna. Ergebnis: Die Zeit unmittelbar vor der Industrialisierung und die teilweise stürmische Entwicklung, die Schlieren seither gemacht hat, sind schon gut untersucht. Hingegen gibt es kaum Arbeiten zur vorherigen, also zur speziellen Situation des Dorfs zwischen der Grafschaft Baden, dem Kloster Wettingen und dem Stadtstaat Zürich im 18. Jahrhundert.

Als Schlieren in Bewegung geriet

Wenig aufgearbeitet ist auch die Geschichte Schlierens im 19. Jahrhundert: Nach einer turbulenten Zeit während der Helvetik und der Mediation, verbunden mit einem kurzen Zwischenspiel im Kanton Baden und dann dem Wechsel zu Zürich, erscheint die Geschichte der Gemeinde auf den ersten Blick unspektakulär. In sichtbare Bewegung geriet Schlieren erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts, mit einer Industrialisierung, die relativ spät einsetzte, dann aber umso schneller und massiver vonstatten ging. Diese Zeit des Wandels, vom vormodernen Dorf an der Limmat zum Industrieort in einer der sich am stärksten entwickelnden Gegenden der Schweiz, sollte untersucht werden, fanden die beiden Staatsarchivare.

Sie kontaktierten in der Folge den Badener Historiker Bruno Meier und die Zürcher Historikerin Verena Rothenbühler und beauftragten sie 2014, ein Buch zur Geschichte Schlierens zwischen 1750 und dem beginnenden 20. Jahrhundert zu schreiben. Meier ist ein Spezialist für das Mittelalter und die Frühneuzeit vor 1900. Er leitete in den Neunzigerjahren das Historische Museum Baden und schrieb die Stadtgeschichte Badens. Rothenbühler ist eine Spezialistin für Institutionengeschichte sowie Orts- und Regionalgeschichte und verfasste die Stadtgeschichte Dietikons.

Zusammenhänge und Alltagsgeschichten gesucht

Meier und Rothenbühler legten ein Gerüst über die in Frage stehende Zeit und «suchten nach den wichtigsten Veränderungsgeschichten, die im Dorf Schlieren abliefen», wie sie dem «Schlieremer» bei einem Gespräch erzählten. Der Nachlass von Fortuna, der auf das Staatsarchiv des Kantons Zürich, die zürcherische Denkmalpflege und das Stadtarchiv Schlieren verteilt worden war,

war Meier und Rothenbühler dabei «eine Hilfe, die den Einstieg in die Geschichte jener Zeit und deren Interpretation erleichterte». Die Quellen­exzerpte, die Fortuna hinterlassen hatte, reichten aber nicht, um eine Geschichte des alten Schlierens zu schreiben. Meier und Rothenbühler «mussten auf die Originale zurückgehen» und machten dazu umfangreiche Forschungen in in zürcherischen und aargauischen Archiven.

Während Fortuna in die Details von einzelnen Familien und Häusern abtauchte, nahmen Meier und Rothenbühler eine «Helikoptersicht» ein und versuchten, Zusammenhänge und Geschichten zu finden. Zugleich warfen sie einen Blick auf andere Gemeinden und verglichen die Ereignisse dort mit jenen in Schlieren.

So entstanden nach und nach die sieben Kapitel des Buchs «Geschichten aus dem Alltag – Schlieren 1750 – 1914». Die Kapitel handeln von einem reformierten Dorf in der katholischen Grafschaft Baden, von einem Bauerndorf vor den Toren Zürichs, von Schiffen, Fuhrwerken und Eisenbahnen, von der Entwicklung von der genossenschaftlichen zur individuellen Landwirtschaft, von einer Gesellschaft, die mobiler wird, von der Schulbildung und dem Vereinswesen im Bauerndorf und schliesslich von der Industrialisierung, die spät, aber dann sehr schnell einsetzte.

Prolog und Epilog fiktional geschrieben

Den Kapiteln voraus geht «ein Besuch in Schlieren im Jahr 1794», ihnen folgt «ein Rundgang durch Schlieren im Jahr 1910». Prolog und Epilog sind «fiktional geschrieben», wie Meier und Rothenbühler betonen. «Wir haben für den Rahmen des Buchs eine andere Erzählform gesucht, wir wollten eine neue Form ausprobieren», sagen die beiden Autoren dazu. «Wir sind gespannt, wie das ankommt.»

Das Buch mit den Alltagsgeschichten aus dem alten Schlieren erscheint im Badener Verlag «Hier und Jetzt». Buch-Ko-Autor Meier ist Mitgründer dieses Verlags, der sich auf kulturgeschichtliche Werke spezialisiert hat.

Der Verlag pflegt einen regionalen Bezug und hat zahlreiche Ortsgeschichten veröffentlicht. «Wir versuchen, nicht reine historische Wissenschaft zu publizieren, sondern Geschichte in einer Art zu präsentieren, die sie auch für ein breites Publikum zugänglich macht», umreisst Meier die Programmpolitik des Verlags.

Vernissage am 29. Juni

Das Buch «Geschichten aus dem Alltag – Schlieren 1750 – 1914» wird am 29. Juni 2017 in der Stadtbibliothek (Bahnhofstrasse 4) der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Vernissage beginnt um 19 Uhr. Die Autoren Bruno Meier und Verena Rothenbühler werden anwesend sein.

Bruno Meier und Verena Rothenbühler

Geschichten aus dem Alltag – Schlieren 1750 – 1914

240 Seiten, 108 Abbildungen, gebunden

Verlag Hier und Jetzt, Baden, 2017

39 Franken

Text und Foto: Martin Gollmer
Bildquelle Ursula Fortuna: www.tagesanzeiger.ch/zuerich/Eine-Stadt-verliert-ihre-Chronistin-/story/13303220?track
– Doris Fanconi

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