Freitag, März 29, 2024
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Ein Riesenprojekt wird versenkt

Wir haben in den ersten beiden Teilen vom wechselnden Schicksal der Pestalozzi-Stiftung berichtet, dem Heim für etwa 40 Buben aus schwierigen Verhältnissen, das im Jahr 1968 nach Knonau übersiedelte. Dort betreibt es nach wie vor die Zürcherische Gemeinnützige Stiftung: Sie stellt die Liegenschaften, während heute der Kanton den Betrieb finanziert.

 

Bedrohung von zwei Seiten: Überbauung auf Schlieremer Seite…
Mit dem Wegzug der Stiftung ins «Säuliamt» stellte sich die Frage: Was sollte nun mit dem hiesigen Gelände geschehen?

Die 60er- und 70er-Jahre waren geprägt von Hochkonjunktur und einer aus heutiger Sicht unglaublichen Wachstumseuphorie. Eine U-Bahn zwischen Dietikon und dem Flughafen wurde geplant; in der Stadt Zürich ein monumentales Geschäftszentrum – ein «Manhattan an der Sihl». Die Stadt rückte nahe: Das ländliche, einst abgeschiedene Tälchen zwischen der Grossstadt und Schlieren mit seinem Moränenhügel, dem Herrenbergli, weckte Begehren. Schon 1945 war ein erster Schatten auf den stillen Berg gefallen: Stadt und Kanton planten, die Rautistrasse quer durch das Tälchen als Zubringer bis zur Bernstrasse zu verlängern, die Baulinie geistert heute noch durch die Pläne.

Im Hintergrund blühten aber noch andere Ideen, und zwar von zwei Seiten her. Einerseits sollte der Schlierenberg überbaut oder mindestens besser genutzt werden, besonders das Gebiet im Gubel und Chilpel. Damals lag es noch in der Bauzone. Zum einen wurde für Schlieren ein Ausbau bis zu 40’000 Einwohnern ins Auge gefasst, der Bau von Villen oder Landhäusern an dieser Lage, z.B. am Gubel, wäre attraktiv gewesen für gute Steuerzahler. Aber auch mit der grossen Kelle wäre angerichtet worden: So hatte das alteingesessene Zürcher Bauunternehmen Rieke AG im Jahr 1954 schon den Hof Schneiter gekauft und geplant, eine grössere Überbauung zu errichten. Von diesem Hof steht nur noch die Scheune nördlich der Höfe Rütschi und Seiler; die eigentliche Liegenschaft wurde um 1970 abgebrochen. Karl Schneiter erinnert sich, als Kind in den 50er-Jahren die Bauprofile für diese Pläne gesehen zu haben; von 400 Wohnungen war die Rede.

Zum andern aber gab es Bestrebungen, Volksinitiativen und Vorstösse zur Freihaltung des «Berges», z.B. die Gubel-Initiative. Das Geschäft war umkämpft, in der Gemeinde prallten gegensätzlich Interessen aufeinander. Dem Bauherrn Rieke in spe wurden Erschwernisse und Auflagen gemacht: Die Zufahrt, Wasserversorgung und Kanalisation hätten auch durch ihn erstellt werden müssen. Das Projekt versandete. Nach verschiedenen Handwechseln (auch Göhner war Eigentümer, wandte sich aber wie bekannt dann dem Norden Zürichs zu für seine Überbauungen) erwarb die Gemeinde den ehemaligen «Schneiter-Hof» im Jahr 1971 – etwa sechs Mal teurer als 1954. (Über den genauen Verlauf der wechselvollen Baugeschichte berichtet das Jahrheft 2017 «Bauen in Schlieren» von P. Voser und P. Hubmann.)

… und ein Riesenprojekt von der Zürcher Seite her: Der Pestalozzipark
Aber auch von der andern Seite her drohte Gefahr. Schon 1970 war vom Quartierverein Altstetten die Anregung gemacht worden, den Rebhügel im Gebiet Herrenbergli/Dachsleren (das «Herrenbergli») als öffentliche Erholungsanlage auszugestalten. Der damalige Zürcher Stadtrat Edwin Frech war hell begeistert, preschte vor und nahm die Idee sehr enthusiastisch auf – ein Grossteil des Landes gehörte ja bereits der Stadt. Zunächst bewarb sich Zürich für die Gartenbauausstellung G 80 und hierfür wäre das Tal umgestaltet worden. Aber schliesslich erhielt Basel den Zuschlag.

Zwar war die Haltung von Bevölkerung und Presse in der Zwischenzeit zusehends skeptischer geworden. Die «Grenzen des Wachstums» wurde zum Schlagwort; die U-Bahn (zwischen Dietikon und dem Flughafen) wurde 1973 deutlich verworfen. In Schlieren war damals der Kampf um die Freihaltung des Schlierenberges entbrannt; es gab Vorstösse und eine Volksinitiative. Der damalige Stadtpräsident Heiri Meier wies 1977 auf diesen Kampf hin – und darauf, dass eine Umzonung auf Schlieremer Gebiet mit Sicherheit abgelehnt würde. Luftaufnahmen zeigten im weiteren, dass möglicherweise die Ruinen eines römischen Gutshofes in der Südostecke des Perimeters lagen – sie sollten geschützt werden und im Boden verbleiben.

Zürich aber plante munter weiter. In Frechs Bauamt II entstanden nun Pläne für einen «Pestalozzipark»; eine Familien-Erholungslandschaft mit See oder einen Lunapark mit Sportplätzen und «Tschitschi-Bähnli» – mit einem Projektvolumen von 13 Millionen. Anfänglich war das Echo positiv, seitens Schlieren allerdings eher verhalten: Der damalige Schlieremer Stadtpräsident Heiri Meier legte Wert darauf, dass die Landwirtschaftsbetriebe als solche erhalten würden, auch die Pestalozzistiftung. «Ich wäre dankbar, wenn die Rautistrasse überhaupt nie erstellt würde.»

Trotzdem führte Grün Stadt Zürich 1979 einen Projektwettbewerb «Pestalozzipark» durch. Das Land gehörte ja bereits der Stadt und dem Kanton (immerhin etwa 25 ha, grossteils auf Schlieremer, teils aber auf Stadtzürcher Boden). Es sollten nur noch «minimale» Eingriffe vorgenommen werden. Das Resultat wäre aber auch so noch verheerend gewesen. Vorgabe war nämlich, ein Restaurant mit 400 Plätzen und einen Parkplatz für 200 Autos zu erstellen. Etwa 20 Landschafts- und Gartenbauunternehmungen beteiligten sich – und sie nutzten diese Freiheit: Unter anderem fanden sich bei den prämierten Projekten ein See, eine Skaterbahn, ein Pfahlbaudorf, Ponyreiten, Minigolf, Trampoline, Wasserspiele, ein Rebberg, eine Allmend und eine Bocciabahn. Ruhezonen wurden ausgeschieden, Kleinkinder- und Erwachsenenspiele, Flächen für «Geselligkeit» angedacht. Gekostet hätte das Ganze die Kleinigkeit von 13 Millionen Franken. Auch wenn das Siegerprojekt auf Schlieremer Gebiet wenig Änderungen gebracht hätte – es wäre der Tod des stillen Tälchens gewesen.

Inzwischen war aber auch der Quartierverein Altstetten klüger geworden – man wollte «keine Anlage, die die ganze Stadt anzieht»; man sei «restlos zufrieden» mit dem gegenwärtigen Zustand, hiess es 1979. Schliesslich buchstabierte der Zürcher Stadtrat zurück; vor allem der neugewählte Stadtrat Ruedi Aeschbacher hatte sich quergelegt und die Frage gestellt, weshalb die natürliche Landschaft nicht auch so der Familien-Erholung dienen könne? Der Wind hatte gedreht – man wollte in den 80ern den Grüngürtel zwischen der Grossstadt und Schlieren erhalten. Die ganze Wachstumseuphorie machte in der Bevölkerung einer Skepsis vor all der Expansion Platz. Das Projekt blieb wie viele andere in den Schubladen und wurde still beerdigt – glücklicherweise, wie wir heute sagen.

Der Kampf einer Bauernfamilie
Aber: Der landwirtschaftliche Pestalozzi-Hof in Schlieren stand immer noch auf unsicherer Basis. Die Stadt Zürich hatte sich zwar beim Kauf verpflichtet, ihr Land weiterhin dem Landwirt Werner Meyer sen. zu verpachten. Aber eben: Das war vor 10 Jahren gewesen! Werner Meyer, ein knorriger Luzerner, hatte zunächst als Fahrer bei Geistlich gearbeitet und war dann Gutsverwalter in Knonau gewesen – auf dem Hof, wo schliesslich die neue Pestalozzi-Siedlung gebaut wurde. Nachdem der Verkauf vollzogen worden war, kam er im Frühling 1968 mit Vieh (etwa 25 Kühen) und Fahrhabe nach Schlieren, als Pächter von Kanton und Stadt. Der Start der (katholischen…) Luzerner Bauernfamilie in Schlieren soll recht harzig gewesen sein, hört man. Der Betriebsleiter in Schlieren, Willy Jost, wechselte seinerseits nach Knonau, wo er den dortigen Hof mit der neu erbauten Pestalozzi-Siedlung leitete.

Zusagen hin oder her: 1990 kündigte der Kanton (als Eigentümer der Liegenschaften) den Meyers. Der Schlieremer Bauernbetrieb habe keine Existenzbasis und Zukunft mehr – er sei zu klein und zu nahe der Stadt. Schlaflose Nächte, ein Schock für die Familie!

Meyers wehrten sich für ihren Familienbetrieb; der Hof (auch wegen der günstigen Lage nahe der Stadt) schien ihnen auch gemäss bäuerlichen Gutachten durchaus lebensfähig. Sie erhielten eine Erstreckung der Pacht, suchten Lösungen mit dem Kanton. Die Politik mischte sich ein. Kantonsrat Hans Wiederkehr reichte 1993 ein Postulat im Kantonsrat ein. Gemeinderätin Esther Arnet wurde im Schlieremer Parlament aktiv.

Ein glückliches Ende
Schliesslich, 1995, gab der Kanton klein bei: Es war einer der wenigen Fälle, wo der Kanton etwas aus seinem Besitz wieder veräusserte, und zwar zum bäuerlichen Verkehrswert – nachdem zunächst ein Spekulationswert im Raum gestanden war. Grund war wohl die Aufgabe der grossen Überbauungspläne, aber auch der schwerwiegende Erneuerungsbedarf an den alten Gebäuden.

Heute führt Werner Meyer jun. den Betrieb in zweiter Generation. An den Gebäuden wurden einige Änderungen vorgenommen: Küche und Speisesaal im Norden waren baufällig und nicht mehr bewohnbar, sie wurden schon vom Kanton abgeschätzt und schliesslich abgebrochen. Im Angestelltenhaus (heute nördlichster Teil) wurden Wohnungen eingebaut. Das Schulhaus mit Werkstätte (der schöne Riegelbau in der Mitte) brannte 1978 ab: Jugendliche hatten «gezeuselt» und einen Mottbrand verursacht. Das Gebäude wurde mit quergestelltem Giebel wieder aufgebaut; heute ist es Schopf, Verkaufs-, Lager-, und Heizraum. 1999 wurde ein moderner Laufstall für die Kühe erstellt. Das südlichste Gebäude (es war Schweinestall, Mosterei und Heimleiterwohnung) wurde 2005 zum Familien-Wohnhaus.

Meyers Betrieb umfasst heute etwa 27 ha Land, davon gut 8 ha eigenes. Es gibt Milchwirtschaft (27 Kühe, dazu Mastkälber und 100 Legehennen), Ackerbau (Mais, Weizen, Gerste, Raps) und Obstbau (Äpfel, Birnen, Zwetschgen, Kirschen). Dazu wird ein kleiner Hofladen geführt, v.a. mit eigenen Produkten. Die Kunden kommen (zu Fuss!) v.a. aus den benachbarten Quartieren der Stadt und Schlieren. Rummel und Autoverkehr werden vermieden.

Wenn wir heute, gut 150 Jahre nach der Gründung der Pestalozzi-Siedlung, über den Schlieremer Berg wandern, haben wir Grund zur Freude. Was da alles geplant war… Die Siedlung ist also nicht nur Abbild des sich massiv wandelnden Schweizer Heimwesens, sondern auch unseres geänderten Umgangs mit Landschaft und Natur. Der hintere Schlierenberg ist für uns, auch dank der Bauernfamilie Meyer, ein vertrautes, natürliches Erholungsgebiet geblieben – und dies trotz stürmischer Entwicklung im Limmattal.

 

Text: Philipp Meier, Fotos: ZVG

 

Kälberaufzucht auf dem Schlieremer Berg.

 

 

Das Lädeli: Meyers Obstgarten.

 

 

 

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