Text: Philipp Meier / Illustrationen: zVg – Seit dem Jahr 2015 finden Sie im «Schlieremer» regelmässig Beiträge zur Ortsgeschichte. Vielleicht erinnern Sie sich an die Bahnhofsgeschichten, die Pestalozzi-Stiftung, das «Lisbethli» oder die Badi «im Moos». Auch Persönlichkeiten konnte man kennenlernen, etwa den Baumeister Jaques Lemp, den Lehrer Hans Därner oder den Gemeindeschreiber Eduard Böhringer. Ehrwürdige Häuser hatten ihren Auftritt – zum Beispiel das Rote Schulhaus, das «Nähhüsli» oder das Hotel «Tivoli». Diese Beiträge kommen daher wie ein farbiger Blumenstrauss.
44 städtische Jahrhefte
Wer noch mehr über die Stadt wissen will, für den gibt es eine weitere Quelle, die leider nicht so bekannt ist: Es sind die offiziellen Jahrhefte der Stadt. Sie verdienen es, hier im Schlieremer einmal in Erinnerung gerufen zu werden.
Die Hefte erscheinen seit bald 70 Jahren. Was steht eigentlich dahinter? Nun, seit 1953 gab die Vereinigung Heimatkunde diese Jahrhefte heraus. In den 1980er-Jahren entstand sogar das Bedürfnis, die Geschichte Schlierens in einem Buch zusammenzutragen. Dem wurde entgegengehalten, dass so ein Buch dann einfach im Büchergestell verstaubt. Periodische Publikationen sind zum einen aktuell und «leicht-gewichtig», können aber auch sehr flexibel auf geänderte Ansprüche reagieren. Seither veröffentlicht die städtische Kommission Ortsgeschichte nun diese Jahrhefte im Auftrag der Stadt und in Zusammenarbeit mit der Vereinigung Heimatkunde.
So sind denn im Lauf der Jahre 44 dieser Jahrhefte entstanden. Sie vertiefen jeweils ein Thema und zeigen oft auch die Handschrift der Verfasser. Diese sind keine Historiker, aber einheimische Persönlichkeiten, die es verstehen, ihr Interesse an der lokalen Vergangenheit und ihr Wissen der breiten Bevölkerung zu vermitteln.
Geschichte: Manchmal ist das gar nicht so lang her…
Wer beim Stichwort «Geschichte» an eine staubige Beige von alten Büchern, verblichenen Portraits und längst vergessenen Themen denkt, hat ja nicht ganz unrecht. Bei Licht besehen, ist aber vieles gar nicht so lange her, wie es einem etwa vorkommt. Ein paar Beispiele: Als im Jahr 1994 das Jahrheft über die Firma Geistlich erschien, war das noch ein blühender Produktionsbetrieb mit stolzer Vergangenheit. Und heute, kaum 30 Jahre später? An der Stelle der ehemaligen Fabrik steht eine moderne Wohnsiedlung. Oder: Im Jahrheft 2018 wird der Bogen vom heutigen Limmattalspital zum Vorgängerbau von 1970 geschlagen – zwischen den beiden Bauten stehen gerade mal 50 Jahre. Auch Themen wie das Gaswerk, die Immigration, Erklärungen zu den Flurnamen oder Zusammenfassungen von Epochen in Schlierens Entwicklung haben immer auch einen Bezug zur Gegenwart. Den Zeitzeugen sind zwei Hefte gewidmet. Unter ihnen eine Künstlerin, die erste Pfarrerin, ein Scharfrichter, ein Clown, Mordgesellen, Erfinder, Musikanten und und und.
Manchmal gibt’s Anlass zum Schmunzeln: Eine dieser Geschichten wird plötzlich wieder aktuell. So geschehen mit dem Jahrheft 2016, welches sich etwas nostalgisch mit alten, wunderschönen Ansichtskarten aus der Stadt befasste. Diese Karten waren – nach über 120 Jahren! – als Mittel der Wahl für Liebesgrüsse, Familiennachrichten und tausend weitere Anliegen schnöde abgelöst worden von SMS, Whatsup und anderen elektronischen Medien. Aber siehe da: Totgesagte leben länger!
Es gibt sie wieder, diese Postkarten! Der Schlieremer Fotograf Daniel Santschi hat eine Serie aufgelegt. Er berichtet in einem separaten Beitrag über den Hintergrund.
Das neue Jahrheft Schlierenberg: Eine faszinierende Geschichte
Das neueste Jahrheft widmet sich der «Schlieremer Alp», dem Schlierenberg. Wir alle kennen dieses Nah-Erholungsgebiet mit seinem Wald, den Bauernhöfen und dem freien Blick über das Limmattal bis hinüber zu den Glarner Alpen. Man würde erwarten, dass das Gebiet schon über Jahrhunderte besiedelt war. Dem ist aber nicht so: Noch bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts war es landwirtschaftlich kaum ergiebig (Moorgebiet und Riedland). Das allererste Höflein, fern vom Dorf, muss um etwa 1800 gebaut worden sein – es steht längst nicht mehr. Eine armselige Gegend, und die Entwicklung kam dementsprechend nur langsam in Gang.
Zwar gab es (man glaubt es kaum) etwas Weinbau, allerdings von vermutlich minderer Qualität. Harte Arbeit, Armut, Krankheiten, Not und Kindersterblichkeit prägten den Alltag «im Berg», oftmals noch Missernten. Die Höflein gaben kaum ein Auskommen her, für viele blieb nur die Auswanderung.
Wer also in diesen kleinen Kosmos blickt, sieht eine Zeit, die gar noch nicht so lange verschwunden ist. Es gab insgesamt neun Hofstätten, aber sie boten wie gesagt eher zu viel zum Sterben und zu wenig zum Leben. Keine stolzen, hablichen Höfe – bescheidene Gütlein eben. Lassen Sie sich in diese Zeit zurücktragen! Sie begegnen den Bauernfamilien und ihrem Alltag, sie erleben mit, wie die einen über den Tisch gezogen wurden und andere ihre Heimat verliessen. Geld und Kredit waren rar und knapp; erst viel später winkten grosse Beträge. Spekulanten traten auf, Schlitzohren neben tüchtigen Landwirten. Sie hören von einer Seidenweberei, von einer Besserungsanstalt für Knaben, von Brandstiftungen, von Gerichtsprozessen. Einige Höfe sind untergegangen, andere (im Hübler) wurden von der Agglomeration verschlungen. Von Ferne klingt auch der Kampf um den freien Schlierenberg an; gar nicht selbstverständlich, dass das Gebiet bis heute nicht überbaut ist.
Wo erhältlich?
Haben wir Sie gluschtig gemacht? Das Jahrheft 2023 ist in der Stadtbibliothek Schlieren oder bei Augenoptiker Auer zum Preis von Fr. 20.– käuflich; ebenfalls beim Präsidenten der Vereinigung Heimatkunde, Rolf Wild. Die älteren Jahrgänge sind alle im Internet verfügbar: www.schlieren.ch (Jahrhefte)
Und wenn wir schon dabei sind: Die genannte Vereinigung Heimatkunde Schlieren unterstützt (wie auch die Stadt Schlieren) diese Hefte. Sie sind als Mitglied herzlich willkommen!