Freitag, März 29, 2024
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Der Vorfrühling kommt… mit Verspätung

Das Rote Schulhaus

Schlieren hat beim besten Willen keine «historischen» Denkmäler aufzuweisen, keine Burgen, keine Kathedralen. Und doch gibt es bei uns ehrwürdige Gebäude, architektonisch gelungene, die ihr Quartier prägen und beleben und die wir als Identifika­tionszeichen im Alltag wahrnehmen. Es sind private oder öffentliche Bauten. Wir haben vor kurzem das «Nähhüsli» vorgestellt, in dieser Reihe folgt nun das weitherum bekannte «Rote Schulhaus».

 

1901 hatte Schlieren das damals neue Schulhaus Grabenstras­se gebaut («grünes» Schulhaus, mehr von ihm in einem späteren Beitrag). Aber schon bald wurde es wieder eng; ab 1913 beschloss die Gemeindeversammlung, vorsorglich Land zu kaufen im Boden – für rund CHF 5.–/m2. Es wurde eine Baukommission bestellt und die Gemeinde gebeten, den Bau der neuen «Schulhausstrasse» zügig an die Hand zu nehmen. Damals waren die Primar- und Sekundarschulpflege noch getrennt; die Federführung lag bei der Primarschulgemeinde. In einem «beschränkten Wettbewerb» wurde ein neues Schulhaus daneben geplant. Sieger wurden die renommierten Architekten Müller & Freytag aus Thalwil mit dem Projekt «Vorfrühling»; die Kostenschätzung belief sich auf CHF 272’000.–.

 

Heinrich Müller und sein Compagnon Albert Freytag errangen aussergewöhnlich viele Wettbewerbserfolge – und bauten auch für die Industrie Wohlfahrtshäuser und Bürotrakte. Markant auch heute noch das Schloss Au. Sie bauten landauf landab Kirchen (Altdorf, Flums, Friesenberg Zürich) und Schulhäuser (Adliswil, Thalwil, Richterswil, Erlenbach, Stäfa und Uster) und ganze Siedlungen. Eine besondere Aufgabe war der Bau von Neu-Innertal im Zusammenhang mit dem Kraftwerk und Stausee im Wägital: Für das versunkene Alt-Innertal entwarfen sie ein Dorfzentrum mit Kirche, Schulhaus und Gemeindehaus sowie ein Restaurant. In Schlieren zeugen u.a. das Bethel-Haus an der Engstringerstrasse von ihrem Wirken; wir kommen später auf dieses Gebäude zurück.

 

Dem Bau kamen die Zeitläufe in die Quere: «Keines der grossen zürcherischen Kreditinstitute wollte unserem Gemeindewesen Geld geben», wie es in einem späteren Protokoll heisst. Der Erste Weltkrieg war ausgebrochen, die klamme Gemeinde musste sich nach der Decke strecken, und am 7.3.1915 wurde die Baute von der Schulgemeindeversammlung «auf bessere Zeiten zurückgestellt», wie es etwas traurig heisst. Der Mangel an Schulraum wurde durch Provisorien gedeckt, u.a. im neu erstellten Römerhof. Ganz schön mutig, unsere Vorfahren! Schon 1924, die Wirtschaft brummte wieder, gab es erneut Gespräche über ein neues Schulhaus. Beide Schulpflegen standen 1927 hinter dem Plan, auf dem vor dem Kriege vorsorglich erworbenen Land ein neues Schulhaus zu erbauen. Ein Vermerk im Protokoll der Sekundarschulgemeinde klingt seltsam bekannt: «Im Laufe der Zeit mussten wir auch die Wahrnehmung machen, dass die Zahl der weniger Befähigten nicht unbedenklich zugenommen hat», was dazu zwang, eine weitere Lehrstelle für die 7. und 8. Klasse sowie eine Spezialklasse zu errichten. Nun, ein Projekt hatte man schon: Man zog einfach Müller & Freytags Pläne aus der Schublade. Jetzt ging’s schnell: Eine Baukommission wurde am 20.7.1927 eingesetzt mit Ing. Franz Kamber als Präsident, mit dem Auftrag «Im Allgemeinen soll nur das beste der Materialien verwendet werden, um in jeder Beziehung ein Werk zu erhalten, das für alle Zeiten den entsprechenden Wert besitzt». Im Dezember genehmigte Kantonsbaumeister Fierz die Pläne. Am 18.6.1928 wurde die Baubewilligung erteilt.

 

Wie gut das Einvernehmen aller Beteiligten war, belegt ein Fotobuch, welches Lehrer Hans Höhn dem tüchtigen Präsidenten der Baukommission widmete. Wir verdanken ihm die Eindrücke vom Baufortschritt in den Jahren 1928 und 1929. Es ist ein Dokument für die damalige einfache Bauweise, weitgehend ohne schwere Maschinen und ohne Kran, dafür mit viel Handarbeit. Es ist aber auch Zeuge für den guten Geist, der das Vorhaben begleitete. Das Buch ist glücklicherweise erhalten geblieben.

 

Am Samstag, 14.12.1929, wurde das Haus in bescheidenem Rahmen eingeweiht mit einem Festakt im Singsaal und einem Bankett in der Lilie. Die Baukosten beliefen sich auf ca. CHF 901’000.–. Erziehungsdirektor Oskar Wettstein fand, dass das Haus einen «erfreulichen Gemeindegeist» repräsentiere, welcher hier aus «eigenen Mitteln ein prächtiges Werk geschaffen hat». Es sei ein «schöner Ausdruck unserer Demokratie, da es jeden in gleichem Masse fördert». Über das folgende Wochenende durften die stolzen Schlieremer ihr neues Schulhaus kennenlernen – und ab dem neuen Jahr fand der Unterricht hier statt. Ein grosses Fest gab es nicht, vielleicht wegen der Krisenjahre, die nun angebrochen waren. Bis ins Jahr 1972 (Bau des Schulhauses Kalktarren) wurden die Primar- und Sekundarschule nebeneinander unterrichtet.

 

Die Vorgabe, mit den «besten der Materialien» zu arbeiten, ist jedenfalls eingehalten worden! Vermutlich als eines der ersten Schulhäuser in Betonbauweise errichtet, ist es jung geblieben: Noch heute, nach fast 90 Jahren, hüpfen die Kinder auf makellosem Fischgratparkett aus astloser Eiche in den Schulzimmern, die Klinkerböden in den Gängen haben alle Stürme überstanden, und die Eingangspartien in Granitbauweise sind sowieso für die Ewigkeit gebaut.

 

Vom Baustil her kann man sagen, dass der eingangs zitierte Zeitungsschreiber mit dem Ausdruck «Palast» sicher nicht das richtige Wort traf. «Die äussere Gestaltung ist modernen Anschauungen angepasst und sehr einfach durchgebildet», wie es in der kantonalen Bewilligung heisst. Die Anlage ist bewusst einfach, hat den Heimatstil hinter sich gelassen, hat aber noch Elemente des Art Deco (z.B. den winkligen Erker mit der Turmuhr oder den Türsturz über dem westlichen Eingang, den Schulhausbrunnen gegen den Pausenplatz oder die Lampe über dem nördlichen Tor). Für seine Bewohner wirkt der Bau modern, ruhig und offen wegen der langen Fensterbänder. Von der Sorgfalt im Einzelnen zeugen auch die Wandbrunnen oder die Klinkerböden in den Gängen. Das Haus steht unter überkommunalem Schutz.

 

Zum Raumprogramm gehörten eine 4-Zimmer-Abwartwohnung, ein Duschenraum mit über 30 Duschen, eine Schulküche (für die Mädchen), eine Handfertigkeitswerkstatt (für die Knaben), ein modern ausgerüstetes Physikzimmer, ein grosszügiger Singsaal, Lehrerzimmer und Nebenräume. Die 10 Klassenzimmer (64 – 80 m2 gross, gerechnet für 40 – 60 Schüler) waren so weitsichtig und solide gebaut, dass sie auch heute noch ihren Dienst tun. Das gilt für die ganze Anlage: Nach 50 Jahren, 1978 – 1980, wurde das Haus sorgfältig renoviert und die schulischen Einrichtungen modernisiert, ohne jedoch den Charakter der Anlage zu stören. Da und dort wurde umgebaut, die Abwartwohnung, die Schulküche und die Duschen sind umgenutzt, aber das «Rote Schulhaus» ist in seiner gesamten Erscheinung intakt geblieben. Auch heute noch ist es Heimat für etwa 220 Schülerinnen und Schüler. Die ursprüngliche Kohleheizung wurde 1960 durch eine Oelheizung ersetzt und 1994 wiederum durch eine solche mit Gas.

 

Warum eigentlich ist dieses Schulhaus rot, mag man sich fragen. In den noch vorhandenen zeitgenössischen Unterlagen findet sich kein Hinweis. Aber: Müller & Freytag waren besondere Architekten und renommierte Künstler auch im Detail. Sie entwarfen für ihre Bauten oft auch Möbel und die Innendekoration. Davon zeugen auch beim Roten Schulhaus die schon erwähnten liebenswerten Einzelheiten. Der Bau ist schlicht, dreiteilig, aber nicht symmetrisch gebaut und wirkt trotzdem als Einheit. Der Architekt wollte bewusst den «Palaststil vergangener Zeiten» hinter sich lassen. Es gibt aber feine Einzelheiten: Neben den schon erwähnten etwa die repräsentative nördliche Eingangspartie mit den Granitmauern, die drei Wandbrunnen im Innern des Gebäudes oder die Terrasse beim Haupteingang mit ihrem filigranen Geländer. Auch die Lampe über dem Nordportal nimmt den Gedanken des Erkers wieder auf.

 

Und das Rot? Nun – vielleicht haben die Architekten ihre Baukommission überzeugen können, einen besonderen Farbton zu wählen. Bunt sollte es im Innern sein – gelungen ist das Äussere auf jeden Fall. Heute kennen in Schlieren alle das «Rote Schulhaus» als ein Wahrzeichen der Stadt.

 

Text: Philipp Meier, Fotos: Aus Lehrer Hans Höhns Fotobuch

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