Donnerstag, April 25, 2024
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Kulturgut, das vom Verschwinden bedroht ist

Der Trachtenchor Schlieren in Aktion beim Konzert in der reformierten Kirche.

Schlieremer Tracht:

Die Stadt Schlieren, obwohl keine ländliche Gemeinde, sondern ein Standort von Industrie- und Dienstleistungsbetrieben, hat eigene Trachten. Doch deren beste Zeiten sind vorbei.

 

 «Ich trage meine Tracht mit Stolz», sagt Myrtha Rütschi, Bäuerin und Präsidentin des Trachtenchors Schlieren. «Sie ist ein schönes Kleid und sie vermittelt mir ein Heimatgefühl,» Ja, es gibt sie noch, die Trachtenträgerinnen und Trachtenträger in Schlieren, der Industriestadt, die immer mehr zu einer Dienstleistungsstadt wird. Und sie tragen nicht irgendwelche Trachten, sondern hauptsächlich die Schlieremer Trachten. Gepflegt wird dieses Kulturgut in Schlieren noch vom Trachtenchor, vom Jodlerclub und von der Volkstanzgruppe. Die älteste Schlieremer Tracht geht auf die Dreissigerjahre zurück – genauer auf 1933. Damals wurde von einer Handvoll initiativer Frauen die Trachtengruppe gegründet. Bald danach wurde der Wunsch nach einer Schlieremer Tracht laut. Laut den alten Protokollen wurde an einigen Vorstandssitzungen und später an der Generalversammlung eifrig diskutiert, es wurden Muster vorgelegt und Entscheide getroffen. 1936 entstand die Werktagstracht mit dem zürichblauen Rock, einer weissen Bluse mit Klöppelspitzen am Rüschenärmel und einer farblich sehr aparten Schürze. Der Schürzenstoff mit den blauen, braunen, schwarzen und den feinen orangefarbenen Streifen wurde in der Handweberei in Bauma gewoben. Die Schürze gab der Tracht eine ganz besondere, harmonische Note.

 
Schlieremer Tracht 1989 wiederentdeckt

Später wurde diese Tracht von der geblümten blauen Zürchertracht verdrängt, bis sie 1989 einige Frauen wieder entdeckten und in der Handweberei Bauma nach dem alten Farb- und Wegmuster suchten und sie tatsächlich fanden. Heute tragen wieder einige Schlieremer Trachtenfrauen diese inzwischen mit einem kunstgestrickten Fichu ergänzte Werktagstracht. Bei festlichen Anlässen wird in Schlieren die Limmattaler  Festtagstracht getragen. Die Schlieremer Version unterscheidet sich von den übrigen Limmattaler Festtagstrachten durch die Stickerei am Göller, das mit Primeli bestickte breite Band am Brustlatz sowie durch die fein gemusterte Seidendamastschürze. Die Trachten im Limmattal sind relativ schlicht. Das hängt mit der Reformation zusammen. Trachten, die in mehrheitlich katholischen Gegenden getragen werden, sind reichhaltiger und oft auch farbenfroher.

 
Als es noch eine Trachtenschneiderin gab

Getragen werden die Trachten heute noch an Trachtenfesten, an volkstümlichen Darbietungen, an Stubeten, an Sing- und Tanzsonntagen, an Delegierten- und Generalversammlungen sowie an weiteren speziellen vereinsinternen Anlässen. In den Achtzigerjahren erlebte das Trachtenwesen nochmals einen Boom. Damals gab es in Schlieren sogar eine Trachtenschneiderin. Heute gibt es im Kanton Zürich noch ein paar wenige Frauen, die Trachten nähen. Eine neue, massgefertigte Festtagstracht kostet zwischen 5’000 und 6’000 Franken. Der hohe Preis hat seinen Grund: Mit der Trachtenherstellung ist viel Handarbeit verbunden. An einer neuen Tracht wirken Weberinnen, Stickerinnen, Klöpplerinnen, Strohflechter und Silberschmiede mit.

 
Den Trachtenchor plagen Nachwuchssorgen

Heute gibt es keine Trachtenschneiderin mehr in Schlieren, denn die Nachfrage nach neuen Trachten und «die Freude am Tragen einer Tracht sowie das Mitwirken in einer Trachtengruppe ist nicht mehr in», wie Rütschi bedauernd feststellt. «Wir würden gerne die Tradition der Schlieremer Tracht weiterführen, aber wenn wir keine neuen Mitglieder finden, geht das nicht mehr.» Wie in vielen Vereinen bereitet denn auch dem Trachtenchor die Überalterung Sorgen. Der Verein, der zurzeit 21 Mitglieder zählt, sucht deshalb Frauen, die Freude am Singen und am Tragen einer Tracht haben, die das überlieferte Liedgut schätzen und denen der Weiterbestand der volkstümlichen Traditionen wichtig ist. «Viele Schätze, die wir im überlieferten Kulturgut finden, sind etwas vom Liebenswertesten, was im Laufe der Zeit geschaffen wurde», weiss Rütschi.

 

Für Interessierte gibt es eine Schupperpobe

«Unsere kleidsame Tracht steht jeder Frau, und der vereinseigene Bestand an Trachten bietet die Gelegenheit, eine Tracht auszuleihen oder günstig zu kaufen», sagt Rütschi. Das Fehlen einer Tracht soll deshalb niemand abhalten, im Trachtenchor mitzumachen. Vielleicht hänge ja bei der einen oder andern Frau sogar eine Tracht in Kleiderschrank, die im Chor bei Anlässen oder Auftritten zu Ehren kommen würde. «Trägerinnen der verschiedensten Trachten sind bei uns willkommen, trägt man doch mehrheitlich die Tracht seiner Herkunft», sagt Rütschi. Frauen, die interessiert sind und nähere Informationen wollen, erteilt sie gerne Auskunft (Telefon: 044 730 31 79, E-Mail: mo.ruetschi@bluewin.ch). Unter der Leitung der Dirigentin Katharina Ruh übt der Trachtenchor mit Freude und setzt sich auch immer wieder Ziele wie etwa ein Konzert, ein Wettsingen an einem schweizerischen Trachtenchortreffen, singen an einem Gottesdienst oder einen Auftritt am kantonalen Singsonntag, an dem sich Chöre aus dem ganzen Kanton Zürich treffen. An vereinsinternen Anlässen und auch beim traditionellen Ostereierfärben pflegt der Trachtenchor die Geselligkeit. Probelokal ist das Alte Schuelhüsli in Schlieren. Geprobt wird jeweils am Dienstag um 20 Uhr. «Wir begrüssen gerne interessiere Frauen zu einer Schnupperprobe», sagt Rütschi.

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Die Präsidentin des Trachtenchors, Myrtha Rütschi,
in der Schlieremer Sonntagstracht.

 

 

Text und Fotos: Martin Gollmer

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