Der Salmen – Aschenbrödel oder stolzer Schwan?

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Einst Stolz der Stadt, heute ein bisschen aus der Zeit gefallen, hat der Salmen von Schlieren eine ungewisse Zukunft.

Heute wird der «Salmen» mit seinem Saal von vielen Schlieremern ein wenig «schräg» über die Schulter angesehen, fast so wie ein vernachlässigtes Findelkind. Aus verschiedenen Gründen meiden ihn gewisse Vereine. Die letzten Jahre waren von Unruhe und Misstönen begleitet. Es gab Differenzen mit den Pächtern. Absichten und Pläne der Eigentümer und der Stadt gingen auseinander. Es ist aber noch nicht so lange her, dass sein Bau herbeigesehnt wurde und er ein Schmuckstück war. Sabine von Fischer sprach 2013 noch davon, dass «Stolz und Würde der Stadt Schlieren» unversehrt erscheine, während die restliche Stadt in den letzten 50 Jahren alle erdenklichen Hochs und Tiefs mitgemacht habe. Sie ist Architektin und Forscherin und Redaktorin an der NZZ.

Erzählen wir also von dem, was war – und riskieren später einen Blick in die Zukunft!

Vor 400 Jahren: Locher-Marxen-Haus: Ärmliche Verhältnisse

Der heutige «Salmen» steht ja an einem prominenten Platz in Schlieren, nämlich an der Kreuzung Uitikoner-/Schul- und Freiestrasse, gleich neben dem Stadtplatz. Hier war der alte Dorfkern mit seinen Bauernhäusern. Die Geschichte dieser Vorgänger hat Frau Dr. Fortuna in unendlich sorgfältiger Arbeit aufgearbeitet. Unglaublich: 1589 wird zum ersten Mal ein Hof an dieser Stelle erwähnt mit einem Besitzer namens Lips; spätestens um 1640 gehörte er einem Hans Locher, Metzger und Weber. Ursprünglich zugewandert aus Spreitenbach, traten die Lochers später als Strumpfweber, Tischmacher (Schreiner), Weber, Nachtwächter oder Schuhmacher auf – nicht wirklich eine vermögliche Familie, aber sie blieb mehr als 300 Jahre.

Lochers drei Söhne teilten das Haus auf, und diese Dreiteilung hatte bis Anfang des 20. Jahrhunderts Bestand. Ein Drittel blieb immer bei den «Lochers». 1908 verkaufte Rudolf Locher, Brunnenmeister den Hof an Zimmermann und Baumeister Jakob Lemp. (Diesem sollte in den kommenden Jahrzehnten eine dominante Rolle im aufstrebenden Schlieren zufallen.) Ein weiteres Drittel gehörte nach vielen Wechseln den Erben von Jakob Bräm, Bahnwärter. Diese beiden Teile gingen 1909 ebenfalls an Jakob Lemp. Im dritten Teil lebte um diese Zeit die Familie des Julius Bräm, Schlosser; 1919 übernahm Lemp auch hier und besass damit das ganze Gelände. Wenn die alten Schlieremer von diesem Haus sprachen und von den Bewohnern mit den immer gleichen Namen, wurde u.a. von den «Locher-Marxen» geredet. Das hatte nichts mit Kommunismus zu tun: Aber der Übername «Marxen» (kommt von Markus, in unserem Fall von Marx Locher 1737–1816) ging auf alle nachkommenden Familienmitglieder über. Dies zur Unterscheidung von all den andern Locher-Familienstämmen.

Werkplatz für einen «Grossmufti» in einer schnell wachsenden Gemeinde

Lemp, ein Berner, war wie gesagt ein tatkräftiger und weitsichtiger Mann. Am alten Locher-Bauernhaus wird er wenig Interesse gehabt haben, wohl aber am Land. Es hatte ihn – nach der obligatorischen Wanderschaft als Zimmermannsgeselle – 1906 nach Schlieren verschlagen, weil er hier für einen Kollegen aus seiner Schulzeit ein Haus bauen konnte. (Heute steht an dessen Stelle die Socar-Tankstelle beim Kesslerplatz.) Er erkannte früh, was für Entwicklungsmöglichkeiten sich hier boten und richtete im Hinterhof des Bauernhauses Locher seinen Werkplatz und die Zimmerei ein. Die grosse Holzhalle (Mitte) existiert heute noch: Sie wurde um 1955 demontiert und südöstlich der Bahnunterführung beim alten Zürichweg wieder aufgebaut («Lemp-Schüür»). Lemp war ein Macher, ein Patriarch; im Dorf nannte man ihn da und dort halb respektvoll, halb spöttisch «Grossmufti». Die damalige West-Erweiterung Schlierens zwischen 1918 und 1939 wurde von ihm geprägt: Zahlreiche Bauten an der Nassacker- und Gartenstrasse, im Zentrum sowie im Guggsbühl stehen heute noch und legen Zeugnis ab für seine Baukunst. (Die Vereinigung für Heimatkunde wird übrigens im Städtischen Jahrheft 2021 von Jakob Lemp erzählen.)

Im Zentrum: Kein Stein bleibt auf dem andern

Nach dem Zweiten Weltkrieg zeichnete sich ab, dass die ehemalige Bauerngemeinde Schlieren ein neues Zentrum erhalten würde an Stelle der altehrwürdigen Bauten. Die Planungen rechneten mit grossem Bevölkerungswachstum, es kam fast eine Goldgräberstimmung auf. Das Lilie-Zentrum wurde erbaut (um 1960), und um das Gebiet Badener-Zürcher-Uitikonerstrasse fuhr die Abbruchbirne auf. Die alten Gasthäuser «Lilie» und «Linde» und der Kranz der jahrhundertealten Bauernhäuser fielen der Spitzhacke zum Opfer. Manchem Schlieremer wird der Untergang des alten Dorfes weh getan haben. Die neue Zeit rief. Der «Lenz», der «Arche», der «Menschenfabrik», dem «Haus am Bach» und wie sie alle hiessen, hatte das letzte Stündlein geschlagen.

Ein Verlust machte besonders Kummer und Sorgen, das war Alfred Hugs Restaurant «Lilie», im Volksmund «Ille» genannt mit seinem Saal. Alle Dorfvereine und die Parteien und Gewerkschaften führten dort ihre Versammlungen, das Turnerchränzli oder die Dorffasnacht durch. Die ganze Dorfkultur würde mit dem Abriss des alten Lilie-Saales gewissermassen heimatlos werden.

Was tun? Ein solcher Saal war nicht gewinnbringend zu betreiben, weder damals noch heute; die Gemeinde konnte das nicht stemmen.

Ein Lichtstreif: ein neuer Saal entsteht

Wie Schlieren durch eine elegante Lösung zu einem neuen Hotel mit Restaurant und dem ersehnten, finanziell tragbaren und erst noch modernen Saalbau kam, zeigt unsere nächste Folge der «Salmen-Geschichte»: Stolz und Wahrzeichen der Stadt.

Text: Philipp Meier, Quellen: Dokumente Frau Dr. Fortuna, Ortsmuseum, Bauarchiv, Archiv ETH 

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