Montag, Dezember 9, 2024
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Die Beteiligung ist miserabel

Führende Lokalpolitiker sind sich einig: Die Stimm- und Wahlbeteiligung in Schlieren ist erschreckend niedrig. Der «Schlieremer» hat deshalb Parteipräsidenten und den Stadtpräsidenten nach den Ursachen gefragt und sie gebeten, Vorschläge für Massnahmen zu machen, mit denen die Teilnahme an Urnengängen wieder gesteigert werden könnte.

 

Die Abstimmungen vom vergangenen 9. Februar zeigten es deutlich: Gingen kantons- und schweizweit je nach Vorlage zwischen 40 und 45 Prozent der Stimmberechtigten zur Urne, waren es in Schlieren nur zwischen 30 und 35 Prozent. Für Stadtpräsident Markus Bärtschiger (SP) ist das kein Einzelfall: «Die Stimm- und Wahlbeteiligung ist in Schlieren im kantonalen und schweizerischen Vergleich leider immer sehr niedrig.» Moritz Berlinger (SVP-Präsident), Henry Jager (GLP-Präsident) und Walter Jucker (SP-Präsident) machen darauf aufmerksam, dass die Teilnahme an Urnengängen in Schlieren oft zu den magersten im Kanton Zürich zählt.

 

Der «Schlieremer» hat deshalb die Stimm- und Wahlbeteiligung in Schlieren an allen Abstimmungen und Wahlen – seien es kommunale, kantonale, eidgenössische oder kirchliche – des Jahres 2019 erhoben und in einer Tabelle zusammengefasst (siehe Seite 16). Dabei zeigt sich: In den allermeisten Fällen nahmen nur zwischen 20 und 30 Prozent der rund 8500 Stimmberechtigten an den Urnengängen teil. In ein paar Einzelfällen waren es leicht über 30 Prozent und ein paar wenige Male sogar unter 20 Prozent. Lokale Vorlagen, bei denen man ein grösseres Interesse vermuten könnte, weil die Stimmberechtigten mit ihnen vertrauter und von ihnen direkter betroffen sind, schnitten dabei nicht besser ab als kantonale und eidgenössische Angelegenheiten.

 

Lokale Politiker bedauern diesen Zustand. «Wenn man die Stimm- und Wahlbeteiligung als Gradmesser für das Interesse der Bevölkerung am politischen Geschehen interpretiert, ist das eine traurige Tatsache», sagt Jucker (SP). Und Berlinger (SVP) meint: «Die Schweiz kennt das einzigartige Privileg, dass sich die Stimmberechtigten mehrmals pro Jahr direkt zu politischen Vorlagen äussern können. Dadurch lassen sich politische Neuerungen besonders breit abstützen und legitimieren. Deshalb empfinden wir es als schade, dass die Stimm- und Wahlbeteiligung in Schlieren so tief ist.» Beat Rüst (Präsident der Grünen) wiederum stellt fest: «Anderswo auf der Welt schlagen sich die Menschen die Köpfe ein, um die Demokratie zu erhalten; bei uns geht (fast) keiner hin.»

 

Nicht interessiert an Politik

Was könnten die Gründe für die sehr niedrige Stimm- und Wahlbeteiligung in Schlieren sein? Andreas Uhl (CVP-Präsident) weist darauf hin, dass das Suchen nach Antworten auf diese Frage ein Stochern im Nebel ist: «Man müsste eigentlich Untersuchungen machen, wer warum zur Urne geht und wer warum nicht. Erst dann lassen sich gesicherte Aussagen machen.» Andere Parteipräsidenten haben trotzdem klare Meinungen: In der mageren Teilnahme äussere sich «Desinteresse an der Politik im Allgemeinen», sagen etwa Barbara Angelsberger (FDP-Präsidentin) und Jürg Naumann (Präsident des Quartiervereins; QV).

 

Die Stimmberechtigten hätten oft auch «andere Prioritäten als Politik», hat Berlinger (SVP) beobachtet. Rüst (Grüne) schildert den gleichen Sachverhalt so: «Sehr viele Menschen sind heute nur noch darauf fixiert, was ihnen persönlich einen direkten Nutzen bringt. Der muss auch sofort da sein.» Für wenige Franken in China ein T-Shirt bestellen und morgen im Briefkasten vorfinden – das sei heute in. «Aber heute über die Alters- und Hinterlassenenversicherung entscheiden, die jahrzehntelang andere Menschen und erst dann einen selber betrifft, liegt dagegen nicht mehr im Trend.»

 

Naumann (QV) glaubt, dass es den Schlieremer Stimmberechtigten «zu gut» gehe. Gleicher Ansicht ist auch Jager (GLP), der noch anfügt: «Es gibt nur wenige Themen, die persönlich sehr tief treffen, wie zum Beispiel Fragen des Einkommens oder der persönlichen Freiheit. Für die meisten Stimmbürgerinnen und -bürger geht das Leben nach Urnengängen wie bisher weiter. Das senkt den Druck, aktiv zu werden und in das politische Geschehen einzugreifen.»

 

Zu viele Abstimmungsvorlagen

Oft komplizierte Vorlagen, die zudem noch in unverständlichem Beamtendeutsch vorgestellt würden, sind für Naumann (QV) und Robert Welti (EVP-Präsident) ein weiterer Grund für die niedrige Stimmbeteiligung. Welti glaubt auch, dass es in der Schweiz einfach zu viele Vorlagen gibt: «Die Demokratie beisst sich selber in den Schwanz», meint er pointiert.

 

Berlinger (SVP) vermutet schliesslich, dass zunehmend auch ein «mobiler Ortsbezug» Grund für die niedrige Stimm- und Wahlbeteiligung in Schlieren sei. Eine wachsende Zahl Stimmberechtigte fühle sich mit dem Ort, in dem sie wohnen, nicht mehr so eng verbunden und habe einen überlokalen, überregionalen oder gar internationalen Bezug. Jager (GLP) sagt das Gleiche so: «Für sehr viele Einwohner Schlierens ist die Stadt nicht Heimat, sondern Ort der Niederlassung. Sie orientieren sich mehr Richtung Zürich oder an ihren Arbeitsort und übernachten nur noch in Schlieren.»

 

Was soll gegen die niedrige Stimm- und Wahlbeteiligung in Schlieren unternommen werden? Sollen etwa die lokalen Parteien vor Abstimmungen und Wahlen aktiver werden und in der Öffentlichkeit vermehrt Präsenz zeigen? «Die Parteien tun heute schon sehr viel», antwortet Jucker (SP). Seine Partei versuche vor jedem Urnengang möglichst viele Leute – auch mit persönlichen Ansprachen – zu motivieren, teilzunehmen. Mitglieder und Sympathisanten der SP würden angeschrieben sowie Stimm- und Wahlempfehlungen auf der Website der Partei und auf Facebook veröffentlicht. Zusätzlich werde oft vor Urnengängen das Informationsblatt @schlieren an alle Haushalte in der Stadt verteilt. Viel mehr liege nicht drin, meint Angelsberger (FDP) dazu, «zumal die Parteien in Schlieren nur beschränkte finanzielle und personelle Ressourcen haben».

 

Objektiv und neutral nicht gefragt

Dem Stadtrat als Gremium wiederum sind die Hände gebunden, wie Stadtpräsident Bärtschiger ausführt. Der Stadtrat dürfe in diversen Fällen gar nicht oder nur sehr eingeschränkt informieren. Das betreffe insbesondere kantonale und eidgenössische Abstimmungen und Wahlen. Zudem müsse der Stadtrat möglichst objektiv und neutral agieren. «Objektive und neutrale Information wird aber in unserer lauten und schnelllebigen Medienlandschaft kaum beachtet», hat Bärtschiger festgestellt. «Sie wird deshalb bei den Stimmberechtigten auch kaum gehört.»

 

Gleich mehrmals wird in der Umfrage des «Schlieremers» gewünscht, dass Parteien und/oder Stadtrat vor Abstimmungen und Wahlen – möglichst ausgewogene – Podiumsdiskussionen durchführen, an der sich die politischen Meinungsträger zu einer Vorlage der breiten Öffentlichkeit präsentieren können. Aber würde das auf Interesse stossen? Nur beschränkt, meint Stadtpräsident Bärtschiger: «Leider ist es eine Tatsache, dass an solchen Veranstaltungen oft mehr Leute auf dem Podium sitzen als im Publikum.»

 

Sollen die Medien – etwa die «Limmattaler Zeitung» oder der «Schlieremer» – vor Abstimmungen und Wahlen mehr berichten? «Ein Mehr an Informationen kann nie schaden», erklärt Bärtschiger dazu. Andere – etwa Jucker (SP) und Uhl (CVP) – meinen dagegen, diese würden bereits genug informieren und warnen vor einer «Überfütterung» der Stimmberechtigten. Von der «Limmattaler Zeitung» wird aber dennoch mehrmals gewünscht, dass sie vor Abstimmungen die Parolen der Parteien veröffentlicht. Mehrfache Unterstützung findet auch die Idee, der «Schlieremer» könnte vor Abstimmungen Sonderausgaben publizieren, wie er das vor Wahlen schon getan hat.

 

Elektronische Kanäle ausbauen

«Es sind heute genügend Möglichkeiten vorhanden, um sich zu informieren. Papier im Briefkasten gibt es eher schon zu viel», meint auch Rüst (Grüne). «Die elektronischen Kanäle könnten dagegen alle Beteiligten noch ausbauen.» Und: «Elektronische Abstimmungen müssten möglich und trotzdem sicher sein.» Kurz entschlossen per SMS abstimmen sei vor allem für viele Junge schneller erledigt und attraktiver als mit dem Kugelschreiber den Stimmzettel ausfüllen und ihn danach zum Briefkasten oder zur Urne bringen.
Jager (GLP) und Uhl (CVP) postulieren, in den oberen Stufen der Schulen im Unterricht mehr über Abstimmungen und Wahlen zu debattieren. Das würde dazu führen, dass die Schülerinnen und Schüler auch zu Hause darüber reden und so unter Umständen ihre Eltern und Geschwister zum Urnengang motivieren könnten. Ähnlich argumentiert auch Jucker (SP) und schlägt gleich die Einführung des Stimm- und Wahlrechts ab 16 Jahren vor.

 

Kontrovers diskutiert wird von Parteipräsidenten die Idee, zumindest auf lokaler Ebene das Stimm- und Wahlrecht für Ausländer einzuführen, um die Beteiligung an Urnengängen zu heben. «Persönlich habe ich nichts dagegen, wenn Ausländer über kommunale Angelegenheiten abstimmen dürfen», sagt etwa Uhl (CVP). Für das Stimm- und Wahlrecht für Ausländer ist auch Welti (EVP). Er glaubt aber wie Rüst (Grüne), dass deswegen die Stimm- und Wahlbeteiligung nicht zunehmen werde, da auch die Zahl der Stimmberechtigten steige. «Wir halten die Einführung des Stimm- und Wahlrechts für Ausländer, nur um die Beteiligung an Urnengängen zu erhöhen, als ein ungeeignetes und möglicherweise nicht zielführendes Mittel», erklärt dagegen Berlinger (SVP).
Zum Schluss sagt Jager (GLP), dass für seine Partei sehr wichtig sei, «dass Schlieren attraktiver wird und gemütliche Begegnungsstätten einrichtet». Dazu gehörten Spielplätze, Strassencafés, ein einladender Stadtpark und vieles mehr. «Das schafft emotionale Verbundenheit mit Schlieren und mit dieser auch die Bereitschaft, sich politisch zu engagieren.»

 

 

 

Text: Martin Gollmer, Foto: zVg

 

 

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