Samstag, April 20, 2024
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Ein Hot Spot für den Schneesport

«Alles fahrt Ski» – so hiess ein Schlager Vico Torrianis in den 60er-Jahren. Viele taten das auf Streule Skis: Kaum 8 km vom Paradeplatz Zürich entfernt wurden sie hergestellt.

Schon früh hatten sich Schreiner, Wagner und Tüftler in der Herstellung von Holzskis versucht; z.B. 1893 Melchior Jakober in Glarus oder 1904 der Schreiner Steiner im Toggenburg. Sie alle bauten handwerkliche Einzelstücke in Kleinserien; immerhin besser als die «Fassdauben», die die Kinder sich anschnallten. In der Zwischenkriegszeit wurde experimentiert; u.a. baute die Aluminium-Industrie Chippis einen Ski aus Aluminium. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges folgten Jahre der Hochkonjunktur und des Aufbruchs, als landauf, landab Skilifte und Bergbahnen gebaut wurden und die Pisten von Holzskis der Schweizer Marken Authier, Attenhofer, Schwendener, Stöckli und eben Streule beherrscht wurden. Schwendener z.B. hatte schon vor dem Krieg dem US-Grossverteiler Sears Skis geliefert und noch 1970 einen Auftrag der US-Armee erhalten.
Man mag es kaum glauben – aber in Schlieren schlug vor nicht so langer Zeit das Herz der Skination. Torrianis Gassenhauer war fast wörtlich zu nehmen: «Ski fahrt die ganzi Nation!» Und viele taten es auf Skis aus der damaligen Industrie-Vorortsgemeinde von Zürich…

Die Streule-Saga: Am Beginn stehen Handwerker
Der Beginn der Streule-Saga hat einen ähnlichen Hintergrund. Die Streules entstammen einer Bauernfamilie aus Appenzell. Die Zeiten vor dem Zweiten Weltkrieg waren hart; das Höflein in der Steinegg wurde verkauft, und die Familie zog nach Stein AR. Franz Josef Streule (*1903), der Älteste, zog als erstes der sechs Geschwister auf Arbeitssuche nach Zürich. Als begeisterter Skifahrer und gelernter Wagner realisierte er, dass Skisport Zukunft hatte. Zusammen mit dem Schreiner Ernst Schenkel begann er 1938 in der Firma «Schenkel und Streule, Ski- und Holzwarenfabrikation» Eschen- und Hickory-Skier zu produzieren. Sitz der Firma war ein Schuppen hinter dem Albisriederplatz. Während des Krieges liess man dann deren Kürzel «SS» aus verständlichen Gründen fallen… Daneben wurden auch Camping- und Gartenmöbel hergestellt.

Das kleine Budeli Schenkel und Streule ging aber 1948 in Konkurs. Nun übernahmen die beiden Brüder Hans (*1914) und Sepp Streule (Josef Anton, *1917) den Betrieb. Franz arbeitete künftig in Bern als Futtermittel-Händler. Ski aber fuhr er mit Begeisterung bis in hohe Alter. Er nahm oftmals am Inferno-Rennen teil (Start auf dem Schilthorn, Ziel in Mürren) und am Parsenn-Derby (Start am Weisshorn Davos, Ziel in Küblis). Ernst Schenkel arbeitete weiter mit im neu übernommenen Fabrikgebäude am Bachmattweg in Zürich-Altstetten. Man produzierte nun nur noch unter dem Namen Streule, unter anderem übrigens auch einen Lättlicouch. Ganz schön mutig – keiner brachte zunächst eine Fachausbildung mit!

Hans war Magaziner und Ladenbauer bei der Migros gewesen. Er erwies sich als guter Verkäufer, betreute den Aussendienst und die Händler, führte den kaufmännischen Bereich. Sepp hatte in den Kriegsjahren als Knecht gearbeitet und machte dann bei seinem Bruder Franz eine Schreinerlehre. Später besuchte er die Abendhandelsschule und schloss sie mit dem Diplom ab. Er leitete die Fabrikation. Beide Brüder waren Tüftler und Strategen, hatten ein kameradschaftliches Verhältnis mit den Arbeitern und übernahmen eine grosse soziale Verantwortung ihnen gegenüber.

Die Familie war eine wichtige Stütze
Für beide gilt, dass sie fest auf ihre Familien und besonders auf ihre Ehepartner bauen konnten. So arbeitete Rita (die Frau von Sepp) tagsüber als Sekretärin und führte in Nachtarbeit die Buchhaltung der Firma. Nelly, die Frau von Hans, hatte Glasbläserin gelernt und verdiente manchen Zustupf für die Familie als Aushilfe im Gastgewerbe.

Aber der Platz in Zürich wurde zu eng, 1959 wurden Arbeitsräume in Schlieren bezogen, im ehemaligen Gebäude der SIBIR an der Friedaustrasse. Nun begann der Aufstieg: Mit dem Modell «Streule Jaguar» wurde die Nationalmannschaft beliefert, Militärskis konnten gebaut werden, und für die Stadt Zürich wurden alle Schulskis geliefert. Der Chronist erinnert sich übrigens, dass dies auch für Schlieren galt: Noch bis in die 90er-Jahre hinein setzte die Schule bei den Mietskis für die Winterlager voll auf die «Hausmarke» Streule. 1966 trat Hanspeter, der Sohn von Hans, in die Firma ein. Er betreute den Aussendienst und war jahrelang Skilehrer im JUSKILA in der Lenk.
Streule hatte einen guten Namen, zahlte gut und zog Fachleute an. In den 80er-Jahren beschäftigte man um die 20 Personen, auch aus der Familie. Von der Konkurrenz Attenhofer her kam der gelernte Skiwagner Karl Frehsner. Ja, das ist niemand anderes als der spätere Nationaltrainer! Dieser, als «eiserner Karl» eine Legende, betreute zunächst die JO (Jugendorganisation des SSV) des «Neuen Skiclub Zürich» und Nelli Nicolier-Streule, die Tochter von Hans. Ab 1976 war er Trainer beim Zürcher Skiverband und später beim SSV. Er feierte mit Athleten wie Pirmin Zurbriggen, Urs Lehmann oder Peter Müller Erfolge, die später nie mehr erreicht wurden. Die Firma Streule war Sponsor des Skiverbandes und absolut auf der Höhe der Zeit – man experimentierte mit Vorstufen des Carving-Skis (dem sogenannten «Hot Dog»), oder dem Fiberglas-Modell «Gold Cup». Noch 1981 wurde ein Skiwagner-Lehrling eingestellt, ein Beruf, den auch noch heute Stöckli-Ski ausbildet. Wichtig war auch der Handel mit verwandten Produkten (etwa Helmen, Stöcken und Schlitten), welcher fast die Hälfte des Gesamtumsatzes von ca. 3 Mio Franken beisteuerte.

Zwei Trends herrschten nun vor: Zum einen wurde experimentiert mit Metall- und Kunststoff-Skis, und zum andern setzte die Konzentration auf wenige, in industriellem Grossmassstab produzierende Firmen ein. Streule behielt das Kon-zept, nur über den Fachhandel zu liefern, bei, und fuhr damit lange Zeit gut.

Aber die Skifabrikation ist ein langfristiger und komplizierter Prozess. Da ist einmal Einkauf und Lagerung des Holzes und anderer Materialien, Glasfasern, Aluminium usw. Die Sandwich-Bauweise ist anspruchsvoll (verschiedene Schichten, u.a. auch heute noch mit einem Naturkern, z.B. aus Bambus) bedingen Fachwissen, einen Maschinenpark und Handarbeit. Mode, Stil und Fortschritt bestimmen die Fabrikation, alles lange vor Saisonbeginn. Das alles dauert gut und gern zwei Jahre, ist also sehr kapitalintensiv. Die kleinen Hersteller in der Schweiz litten, Direktverkauf und der Einstieg der Grossverteiler verstärkten den Druck. Einer nach dem andern musste die Waffen strecken. Hinzu kamen warme Winter mit einer mörderischen Überproduktion und damit zusätzlichem Preisdruck. Von Streule trugen in den besten Zeiten etwa 12’000 Skis den Namen Schlierens in die Skiwelt; 10 % davon gingen in den Export. Aber das Geschäft war extrem wetterabhängig. Im Verdrängungskampf hatten die «Grossen» (Atomic, Head, Fischer…) natürlich den längeren Atem.

Qualität der Skis war fast zu gut
Schmunzelnd erzählt Rita Brändli, Tochter von Mitbegründer Sepp Streule, dass wohl auch die Qualität der Produkte fast zu gut war: Die Skis liefen gut, und man warf sie nicht weg. Am längsten hielten sich Streules Tourenskis, z.B. der «Piz Palü».

In den 80er-Jahren kam also das grosse Fabriksterben. Hinter vorgehaltener Hand sagte man, dass in einzelnen Jahren kein einziger Hersteller schwarze Zahlen schrieb. Anstelle des Verkaufs verlangten die Kunden immer mehr Mietskis – auch das war kapitalintensiv. So musste auch Steule die Produktion der einfacheren Modelle mehr und mehr ins Ausland verlegen, z.B. nach Oesterreich (Firma Pale). Nur noch der Finish und der Service blieben in Schlieren. Mit dem Aufkommen der Carving-Skis stellte sich die Existenz-Frage: Wachsen, vergrössern oder aufgeben? Andere Fabrikationsverfahren und grosse Investitionen wären nötig gewesen. In dem garstigen Umfeld schien das nicht erfolgversprechend. Die Produktion lief langsam aus; es gab keinen abrupten Schluss. So konnten Härtefälle für die Mitarbeiter vermieden werden. 1996 gab Streule die Geschäftstätigkeit definitiv auf, Ein Teil des Maschinenparks wurde nach Malters zum letzten Schweizer Skibauer Stöckli gegeben, wo er heute noch im Einsatz ist. Ein paar unentwegte Manufakturen gibt es heute noch daneben, aber die besetzen nur noch eine Nische.

Kein Stein blieb im Wintersport auf dem andern. In Schlieren: Hamburger statt Skis
Seitdem hat sich der Wintersport radikal verändert. Man mag es mit Wehmut betrachten, aber das mit der «halben Nation, die Ski fährt» stimmt nicht mehr. Snowboarder und Freestyler bevölkern die Hänge und müssen wegen der Klima-Erwärmung immer höher hinauf; Eiskletterer und Schneeschuh-Wanderer sind an die Seite der Tourenfahrer getreten. Skigebiete schliessen sich zusammen; einige fürchten den Klimawandel.

So ist Streule ein Teil von Schlierens Industriegeschichte geworden: Mutige Unternehmer und ihre Mitarbeiter erkämpften sich einen berühmten Namen, wie die Wagonsfabrik, das Gaswerk, das Aluminium-Schweisswerk, Geistlich, die SIBIR oder die Färbi. Sie sind alle verschwunden. An ihren Platz ist eine Vielfalt von Dienstleistern z.B. aus der Chemie und der Autobranche getreten. Auf dem Gelände der ehemaligen Skifabrik Streule steht heute der Hamburger-Brater McDonalds.

Text: Philipp Meier, Bilder: Bildarchiv ETH, Quellen: Informationen der Familie

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