Samstag, Oktober 12, 2024
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Ein Naherholungsgebiet mit Geschichte

Im ersten Teil dieser Rückschau erzählten wir von der Villa Böhringer, halb-spöttisch auch «Zwing-Uri» genannt. Heute geht es um eines der vielleicht schönsten Bürgerhäuser unserer Stadt – die «Bergsonne». Wie immer berichten wir auch von den damit verbundenen Menschen.

Erinnern wir uns: Die Überbauung des «Berges» südlich der Bahnlinie setzte erst spät ein und sie war umstritten. Es lockte natürlich die hervorragende Lage, aber dem standen immer die Interessen des Landschaftsschutzes und auch die Bedürfnisse der Landwirtschaft gegenüber. Der hier ehemals vorherrschende Rebbau war zu Ende des 19. Jahrhunderts zusammengebrochen. Die Ebene war Streu- und Riedland, man sprach vom «Chilpelmoos» und vom «Grossen Moos». In zwei Etappen wurde sie trockengelegt; wir berichten später darüber. Eigentlich wäre für das Gebiet ein Quartierplan vorgesehen gewesen, aber die Parzellen des ehemaligen Rebberges wurden ohne einen solchen eine nach der andern überbaut. Ein Quartierplan kam nie zustande – seien wir froh, dass einige der Bauwerke trotzdem gut geraten sind.

Musterbeispiel eben unser heutiges «Schmuckstück», die erwähnte «Bergsonne». Sie wurde von Baumeister Jakob (Jacques) Lemp 1932 errichtet und kann – mit den Worten der Kant. Denkmalpflege – als typisches Landhaus des frühen 20. Jahrhunderts bezeichnet werden. Sie steht in der Tradition des Heimatstils, was die beiden Erker, das behäbige Walmdach und die Dachgaube zeigen. (Eine Gaube ist ein separater Aufbau in einem Dach.) Lemp nahm aber bereits Einflüsse der Moderne auf, was z.B. die grosszügigen Terrassen oder die Kacheln des Eingangs belegen.

Jakob Lemp.

Ein tüchtiger, mächtiger Mann
Jakob (Jacques) Lemp (1876–1966) war eine prägende Gestalt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, und dies in vielfältigem Sinne. Von Haus aus war er Zimmermann und stammte aus Attisholz BE. Wie das in seiner Zunft so der Brauch ist, zog er nach der Lehre als Geselle in die Welt hinaus und durfte während der «Walz» drei Jahre und einen Tag nicht näher als 50 km zu seiner Heimatgemeinde kommen. 1906 kam er nach Schlieren aus einem einfachen Grund: Er baute für seinen Schulkameraden Gottfried Hermann im Westen von Schlieren einen Bauernhof im Berner Stil – dort, wo heute am Kesslerplatz die Socar-Tankstelle steht. Lemp erkannte das Potenzial der aufstrebenden Gemeinde. Er verstand sich gut mit den Persönlichkeiten der Stadt, hatte Kontakt mit den Bauern, dem Gemeindeschreiber und den Handwerkern und Architekten. Man geht nicht fehl, wenn man annimmt, dass da auch die eine Hand der andern half. Sicher ist, dass er grosse Teile des Westens von Schlieren erbaute. Man hätte getrost von «Lempwil» sprechen können. Er handelte mit Land, besass sogar eine Kiesgrube an der Grenze Schlieren/Dietikon und war zweifellos ein Macher, ein Powertyp. «Grossmufti» sagten die Schlieremer hinter seinem Rücken. Aber anerkannt und respektiert war er: Ein Zeitzeuge bestätigt, dass er «nichts hatte, als er kam». Sein Leitspruch war: «Immer vorwärts».

Lemp war Patron, sein Wort hatte Gewicht. Nicht alles gelang ihm im Leben, auch familiär nicht. Er übergab sein ehemals grosses Bau- und Zimmereigeschäft seinen Söhnen; es besteht nicht mehr. Aber seine soliden, stolzen Bauten entlang der Freie-, Urdorfer- und Gartenstrasse sprechen noch heute seine Sprache – die Handschrift ist unschwer zu erkennen. Was er baute, hatte Qualität. Unter Dutzenden von Werken seien nur das ehemalige Gemeindehaus (Zürcherstrasse 11) erwähnt oder das gegenüber liegende, geschlossene Rest. Casa Amici, die ehemalige Bäckerei Epple oder das Wohnhaus Schulstrasse 1.

Zurück zur «Bergsonne»
Die Bergsonne hatte Lemp für sich selbst gebaut, ein stolzes Denkmal, nachdem er ein Vierteljahrhundert die Entwicklung geprägt hatte. Den Eingang ziert das Bild eines Wandergesellen und ein Spruch:

Dem Burschen blies der Wind ins Haar
tät fast den Hut verlieren!
Er wanderte das zehnte Jahr, 
dann endlich blieb er wo er war – in Schlieren!

In einer Firmenbroschüre aus den 30er-Jahren heisst es (wohl vom Patron höchstselbst gedichtet):

Zu überwinden gab es viel.
Und Häuser, nach modernstem Stil,
Sie trotzen jedem Sturm der Zeit,
durch ihre Bodenständigkeit.
Wandergeselle am Eingang der Bergsonne.

Lemps Zeilen mögen ein bisschen holpern, nicht so die Bauten. Die «Bergsonne» ist nun 90 Jahre alt und schaut jugendlich frisch und munter ins Tal. Die beiden Wohnungen wirken heute noch ausserordentlich grosszügig und geben einem sofort das Gefühl von Heimat und Geborgenheit. Auch die Dachzimmer (früher für die Bediensteten) wurden sinnvoll umgebaut. Die Kantonale Denkmalpflege empfiehlt in ihrer Würdigung, aufgrund der hohen architektonischen Qualität und weil die historische Substanz weitgehend vorhanden ist, eine integrale Erhaltung der Anlage, einschliesslich Gartengestaltung und Pavillon. Dem ist nichts beizufügen. Wir ergänzen hier zum Schluss noch mit einigen der wunderschönen Einzelheiten im Hausinnern. Sie sind alle erhalten. 
Quellen: mündliche Berichte aus der Familie, Akten Bauamt und Kant. Denkmalpflege, freundliche Erlaubnis durch Mieter, Fotos: Archiv Meier, Jahrheft Schlieren 2021.

Brunnen im Hausinnern.
Ofen im Entrée.
Blick auf Gartenpavillon und ins Tal.
Essraum.
Eck-Erker mit Parkett.

Text und Bilder: Philipp Meier

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