Freitag, April 26, 2024
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Ein Naherholungsgebiet mit Geschichte

Text und Bilder: Philipp Meier – Im dritten Teil dieser Rückschau geht es um ein fast verstecktes und verwunschenes Häuschen; vor allem aber um die Persönlichkeit eines unvergessenen Lehrers.

In den letzten beiden Berichten über die «Schlieremer Alp» haben wir von zwei markanten Häusern und ihren Erbauern berichtet: Von der Villa «Böhringer» und der «Bergsonne» von Baumeister Lemp. Heute geht es um ein Einfamilienhaus, das etwas versteckt und eingewachsen in den Bäumen und Sträuchern des Gyrhaldenquartiers liegt. Es erinnert an einen verdienten Lehrer, der bei seinen Schützlingen noch immer unvergessen ist.

Hans Därner (1905–1997) war einer der beliebtesten Lehrer seiner Zeit. Auch heute noch, viele Jahre nach seiner Pensionierung, hört man von seinen «Ehemaligen» nur Gutes. Er war sehr streng und kompetent, eine «stattliche Erscheinung» mit «lupenreinem Schriftdeutsch». Dabei blieb er aber menschlich im Umgang mit seinen Schützlingen. (Solches war nicht unbedingt selbstverständlich in jener Zeit…) Er verstand es, seine Begeisterung und Liebe für Sprache und Literatur weiterzugeben, aber auch für Mathematik, Physik oder Pflanzenkunde. Nicht selten führte er seine Klassen ins Theater. Aber er öffnete ihnen auch die Augen, sah den Krieg kommen und thematisierte die Greuel in Nazi-Deutschland. Därner war an sich politisch nicht interessiert, aber es mag sein, dass ihm seine familiäre Herkunft die Augen öffnete für die drohende braune Wolke über Europa. Gewiss kein Zufall, dass er 1939 mit seinen Klassen eine strenge Schulreise über den Gotthard machte, zu Fuss natürlich, mit einer begeisternden Rede beim Hospiz.

Sekundarlehrer Hans Därner

Einer seiner Schüler beschreibt Därners Unterricht als humane, aber sehr dezidierte Schulführung. «Nichts schien seinen hellblauen Augen zu entgehen, und er strahlte ständig eine Art Präsenz und Arbeitsabsicht aus, dass es, kaum war er jeweils zu Stundenbeginn eingetreten, sozusagen in den Schulraumwänden leise knisterte. … Bei aller Strenge, bei solcher Unterrichtsdichte, leuchtete aber stets eine väterliche Art über allem, und es war keine Seltenheit, dass sich Hans Därner bei irgendeiner remarkablen Kleinigkeit in einem genüsslichen sonoren Lachen erging und sich dabei mit den Fingern noch schnell den Schnurrbart strich.»

Stellvertretend lassen wir auch zwei ehemalige Zöglinge der Pestalozzi-Stiftung sprechen. In diesem Erziehungsheim für Knaben, welches heute in Knonau ansässig ist, wohnten bis 1968 etwa 40 Buben – und die begabten von ihnen durften «ins Dorf» in die Sekundarschule. Wenn sie Glück hatten, kamen sie zu Hans Därner.

Arthur «Turi» Honegger (1934–2017), Zögling der Pestalozzi-Stiftung und späterer Redaktor, Schriftsteller und Grossrat, schrieb: «Därner war ein fröhlicher Lehrer, ein charmanter, leutseliger, beziehungsreicher Mensch, ein begnadeter Erzähler. Ein Denker auch, dem die Erklärung der Dinge am Herzen lag.» Därner schenkte dem begabten Heimkind Jeremias Gotthelfs Bauernspiegel und Gottfried Kellers Fähnlein der Sieben Aufrechten und legte ihm Shakespeare aufs Pult. Er wollte, dass Honegger in die Kantonsschule übertreten und danach seinen Wunschberuf (Schauspieler) ergreifen konnte. Honeggers Vormund torpedierte dies – «aus dir wird sowieso nichts». Därner fand darauf für Honegger immerhin eine Lehrstelle als Schriftsetzer beim Tages-Anzeiger. Aber Heimleiter Fausch und Vormund Jucker verhinderten auch das. Stattdessen wurde Honegger zum Bauern Haller gebracht, «immer zwischen Hunger und Schlägen».

Zum Abschied umarmte Hans Därner seinen Schüler mit Tränen in den Augen und gab ihm den Grünen Heinrich von Gottfried Keller mit auf den Weg. (Der Heimleiter nahm ihn dem Jungen wieder weg…)

Arthur Honegger 1924–2017.

Auch der Schriftsteller Franz Rueb (1933–2021) war ein Zögling in der Pestalozzi-Stiftung, und zwar ein ungebärdiger. Er erinnerte sich mit Bedrückung an seine Zeit in der «Stiftung», aber mit Dankbarkeit an seinen Lehrer, eben Hans Därner. Er widmete ihm sein Buch «Ulrich von Hutten» mit den Worten «Meinem Lehrer, der mir in guter Erinnerung ist», und dies 40 Jahre nach seiner Schulzeit…

(Wer mehr über Arthur Honegger wissen will, dem empfehlen wir das Jahrheft 2021 der Stadt Schlieren; es heisst «Zeitzeugen».)

Familie Därner-Markgraf ca. 1910 (rechts: Hans Därner).

Die Herkunft:
Europäische Geschichte mit Wurzeln in Osteuropa
Die Familie Därner hat ihre Wurzeln im alten Europa der Zeit vor den Weltkriegen. Grossmütterlicherseits liegen die Wurzeln in Jachymov (ehem. St. Joachimsthal) im heutigen Tschechien, damals Oesterreich-Ungarn, im böhmischen Erzgebirge. In dem mondänen Bad kehrten berühmte Leute wie Goethe und Beethoven ein; die Bäder in der Nähe (Marienbad, Karlsbad usw.) haben heute noch einen guten Klang. Um 1900 sprach man hier noch Deutsch. Anna Markgraf (1862–1938) wuchs mit fünf Brüdern auf und arbeitete zunächst in einer Tabakfabrik, um die Familie zu unterstützen. Anschliessend machte sie eine Lehre als Handschuh-Näherin: Bei vornehmen Damen war es Mode, feine, gepflegte Handschuhe zu tragen, welche den ganzen Unterarm bedeckten.

Anna muss eine mutige, unternehmungslustige Frau gewesen sein. Sie sah ein Inserat der Firma «Böhny-Handschuhe» (die gibt es heute noch) und bewarb sich kurzentschlossen um 1890 für die ausgeschriebene Stelle in Zürich. Sie wurde als gute Fachkraft eingestellt und schaffte sich empor zur Directrice. Im Seefeld traf sie einen Hermann Därner (1896–1972). Dieser war im heutigen Polen geboren worden, in Lagiewniki (Heidersdorf, Oberschlesien). Auch dies war damals deutschsprachiges Gebiet. Därner war ein Zimmermann auf Wanderschaft, der «Walz», wie man damals sagte. Seit Generationen war es die Regel für Zimmerleute, dass sie nach der Lehrzeit ihrer Heimatstadt drei Jahre und einen Tag fernbleiben und zu Fuss als Gesellen unterwegs sein mussten, in ihrer bekannten «Kluft». Im Gegenzug erhielten sie unterwegs bei den Meistern Kost und Logis. Därner blieb schliesslich in Zürich hängen, gründete mit Anna Markgraf 1895 eine Familie und baute an der Seefeldstrasse 54 eine Schreinerei auf; «mis Budeli», wie er den Betrieb nannte. Eines der drei Kinder war «unser» Hans Därner (1905–1997).

Eine Lehrerpersönlichkeit in stürmischer Zeit
Er besuchte das Lehrerseminar in Küsnacht und arbeitete während seines ganzen Berufslebens von 1925-1970 als Sekundarlehrer in Schlieren, im «Roten Schulhaus». Dass er ausgerechnet in Schlieren landete, war purer Zufall: Er sah ein Inserat in der damaligen Lehrerzeitung, meldete sich und wurde gewählt. Wie das Leben so spielt, traf er hier Henriette Wehrli (1901-–1987). Auch sie war Lehrerin und sollte seine Frau werden. Die Tochter erinnert sich übrigens noch, dass die Mutter wohl immer die «strengere» war in Bezug auf die Erziehung der Kinder.

Hans Därner trat zwar politisch nie in Erscheinung, aber für seine Meinung trat er auch vor seinen Schützlingen ein. Es war kein Zufall, dass er 1939, vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, eine Schulreise in die Innerschweiz durchführte. Zu Fuss die Schöllenen hinauf bis Hospenthal und dann auf den Gotthard! Dort versammelte er seine Schar um sich: «Ich wollte euch zeigen, dass die Schweiz ein starkes Land ist. Die Zeit ist sehr gefährlich geworden, wir stehen unmittelbar vor einem Krieg. Es kommen harte Zeiten auf uns zu. Wir sind umgeben von Ländern, die den Krieg provozieren. Es wird schwer werden, so allein zu sein in Europa. Seid tapfer, steht zu euren Eltern, helft ihnen, wenn eure Väter an die Grenze müssen. Es ist wichtig, dass wir den Mut nicht verlieren. Wir werden diesen Tag nie mehr vergessen, weil wir erleben, dass wir alle im gleichen Boot sitzen, die ganze Schweiz, alle, vom Fabrikdirektor, dem Bankier bis zum Hilfsarbeiter und Knecht. Hört nicht auf Stimmen, die uns an Deutschland ausliefern wollen. Ich verlasse mich auf euch, auf jeden Einzelnen. Gott sei mit uns.»

(Eine Anmerkung des Verfassers: So viel anders ist die Weltlage in diesen Tagen nicht.)

Das Haus Därner am alten Zürichweg 30.

Ein Traum wird wahr: Ein Haus für die Familie
Mit dem Sohn (Hans, *1935) und der Tochter (Margrit, *1937) war die junge Familie bereit für das Abenteuer eines Hausbaus. Sie konnten 1945, gegen Ende des 2. Weltkrieges, von Hans Baumann (Gemeinderat, Werkstattdirektor der «Wagi») eine grosse Parzelle auf der Gyrhalde erwerben. Aber ans Bauen war vorerst nicht zu denken; die Familie lebte zunächst noch an der Schulstrasse 7, wo sie im Hinterhof gemäss den Vorschriften der Anbauschlacht während des Zweiten Weltkrieges Kartoffeln anpflanzten. Tochter Margrit hat noch heute gemischte Erinnerungen ans Pflanzen und Anhäufeln… 1948 war es soweit. Der Schlieremer Architekt Otto Müller entwarf das Projekt, und die Familie konnte umziehen. Schön ist, dass der Bestand des bescheidenen Hauses weiterhin gesichert ist.

Därners Frau Henriette, begeisterte Gärtnerin und Klavierspielerin, gab mit der Geburt der Kinder ihren Beruf auf. Sie sprang einzig noch während des Krieges für ihren Mann ein, wenn er im Aktivdienst war – dies allerdings mit der Bedingung, dass sie die Kinder in den Unterricht mitnehmen dürfe. Tochter Margrit (*1937) erinnert sich mit Spass an diese Zeit. Es war Hans Därner vergönnt, sein Heim bis fast ans Ende seiner Tage geniessen zu können.

Noch eine Bemerkung zur holprigen Überbauung des Schlierenberges. Es hatte sich schon vor dem Ersten Weltkrieg abgezeichnet, dass die privilegierte Wohnlage südlich der Bahnlinie in der einen oder andern Form überbaut würde. Die Interessen der Landbesitzer kollidierten mit der Idee einer geordneten Überbauung. In den frühen 30er-Jahren hatten Gemeindeschreiber Böhringer, Baumeister Lemp (siehe Beiträge in den letzten Ausgaben des «schlieremers»), die Familien Welti und Hans Baumann, Werkstattchef der «Wagi» und Gemeinderat, gebaut. Der Schlierenberg war – wie auf der Illustration aus dem Jahr 1947 zu erkennen ist – noch weitgehend frei, galt aber als Bauzone. Jedoch die Entwicklung war ungewiss. Peter Voser hat im Jahrheft 2017 die ganze Geschichte der Bauordnungen in Schlieren zusammengetragen. Jedenfalls tragen die Baubewilligungen aus dieser Zeit alle den Vermerk «Unter Vorbehalt eines späteren Quartierplanes». Dieser kam aber nie zustande. Der Druck zum Bauen war schlicht zu gross – plötzlich waren vollendete Tatsachen geschaffen worden und das Quartier (einigermassen planlos) überbaut…

Quellen: Bauamt Schlieren, Informationen der Familie, «Die Fertigmacher» und «Wovon ich rede» (Bücher von Arthur Honegger, Jahrheft 2021 Stadt Schlieren.

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