Ein Schlieremer Bijou

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Das Tivoli an der Zürcher-/Bäckerstrasse ist das einzige verbliebene Hotel in Schlieren. Es hat eine stolze Geschichte und ist als 3-Sterne-Haus ein sehr gepflegtes, liebenswertes Aushängeschild unserer Stadt. Es darf sich rühmen, die erste Arbeit eines vielfach preisgekrönten Architekten zu sein: Theo Hotz.

In Schlieren machte man sich um 1948 (wieder einmal…) Gedanken über die Weiterentwicklung des Zentrums. Es herrschte – nach dem Zweiten Weltkrieg – Aufbruchstimmung. Dass die Restaurants Linde, Lilie und alte Post abgebrochen würden, war absehbar (und war 1960 bzw. 1963 tatsächlich der Fall). Schlieren würde eine urbane Mitte erhalten; bestimmte Pläne sahen einen radikalen Abbruch des Zentrums und eine Überbauung mit amerikanischen Linien vor.

So schnell gings aber nicht mit diesem Zentrum – und es kam (wie so oft) auch ganz anders heraus. Die damaligen Pläne wurden nicht verwirklicht. Erst 1957 entstand der Salmen mit seinem Saal, die alte Linde wurde 1960 abgerissen und durch den Neubau ersetzt; 1963 folgte das Lilien-Zentrum anstelle der alten Lilie mit ihrem Saal.

Ein berühmter Name und ein weitsichtiger Plan
Aber auf einer Baulücke etwas östlich von diesem Zentrum, nämlich an der Ecke Bäcker-/Zürcherstrasse, entstand Neues. Seit 1893 bestand hier eine Gärtnerei: Gottfried Hardmeier übernahm damals das bestehende Wohnhaus («mit Abtrittanbau», wie es im Grundbuch heisst). Er und seine Nachkommen führten ihr kleines Geschäft über 50 Jahre lang bis kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Jetzt kaufte Baumeister Fritz Jost das Land und übergab es Malermeister Theo Hotz Senior aus Wiedikon. Während die Zentrumsentwicklung Schlierens nicht so recht vorwärts kam, sahen Jost und Malermeister Theo Hotz sen. aus Wiedikon, welcher auch im Liegenschaftenhandel tätig war, das Potenzial dieser Lage.

Hotz wollte seinem Sohn Theo (1928–2018) ermöglichen, einen Bau zu verwirklichen und dem andern, Sven, einen Betrieb zu leiten. Der junge Theo Hotz hatte eben, in Rekordzeit von zwei Jahren und mit Bestnote, die Lehre als Hochbauzeichner abgeschlossen. Er schloss sich als Partner dem Architekten Fedor Altherr an. Dieser war ein Visionär, und die Zusammenarbeit der beiden war sehr fruchtbar. Für Hotz mag das Tivoli nur eine erste Fingerübung gewesen sein, und doch wurde es auch ein architektonischer Wurf. Aus dem jungen Theo Hotz sollte ein berühmter Architekt werden. Zu seinen späteren Werken gehörten die Bezirksschule Wettingen, das Thermalbad Zurzach mit seinem Turm, das Postbetriebszentrum Mülligen, die EMPA St. Gallen, die Wohnüberbauung Kappeli, das Sihlcity und der Hauptbahnhof Wien, um nur einige zu nennen.

Das Projekt «Tivoli» wurde, mit Baumeister Jost, 1950 verwirklicht. Zwei hübsche Geschichtchen illustrieren auch die Zeitumstände: Über den Kaufpreis hinaus musste Hotz Senior der Familie Jost einen offenen Sunbeam-Sportwagen übergeben, der natürlich im Dorf Aufsehen erregte. Der Nussbaum, der auf dem Gärtnerei-Areal stand, wurde Bestandteil einer edlen Aussteuer…

Architektonisch gesehen handelt es sich beim «Tivoli» um einen Vertreter des «Neuen Bauens». Die drei miteinander verbundenen Baukörper, die in ihrer äusseren Gestalt sehr leicht und schwerelos daherkommen, haben alle inneren Veränderungen überdauert. Im Zusammenhang mit dem pavillonartigen, oktagonalen Tea-Room sprach man damals bewundernd von «légèrer Bauweise». Die Massstäblichkeit des Quartiers wird übernommen, die Bauten protzen nicht und drängen sich nicht auf. Hotz baute als erster eine Projektionswand aus Gips ins Kino. Dieses Kino hatte er im Kampf gegen den mächtigen Lichtspieltheaterverband durchgesetzt gemäss seinem Konzept Kino/Laden/Tea-Room und Wohnungen. Die Anlage fügt sich zeitlos in die Umgebung ein und prägt sie gleichzeitig. Auch heute, fast 70 Jahre später, «stimmt» das Ensemble. Theo Hotz soll immer stolz auf dieses Werk gewesen sein. Er verstand sich ja auch als Künstler – und die Preise, wie auch die Ehrendoktorwürde der ETH, die man ihm später zueignete, bezogen sich jeweils auch auf diese Baukunst.

Ein Kino in Schlieren? Geht das?
Das Kino umfasste immerhin 345 nummerierte Sitzplätze und wurde am 30.12.1950 eröffnet. Restaurant und Filmtheater wurden anfänglich von Sven Hotz betreut, dem späteren Präsidenten des FC Zürich. Der erste Film war eine Slapstick-Komödie von Red Skelton «Mr. Jones, der Bürstenmann». Aufführungen gab es vor allem am Wochenende. Am besten «liefen» in den 50er-Jahren aber die Filmnachmittage des «Fip-Fop-Clubs». Das war eine clevere Marke-ting-Aktion der Firma Nestlé, welche mit dieser Werbung einerseits ihre Produkte bewarb, dafür aber Hundertausenden von Kindern den Zugang zu Filmen von Laurel & Hardy, zu Heimat- oder Dokumentarfilmen und zur Wochenschau verschaffte. Viele mögen zum ersten Mal ein Kino von innen gesehen haben. Dieser Fip-Fop-Club war auch im Tivoli zu Gast.

Die Ära der Familie Stark
Auf Dauer kam aber der Erfolg nicht wie gewünscht. Der Kinobetrieb rentierte nie richtig; die Konkurrenz der nahen Grossstadt war zu mächtig. Ab den 60er-Jahren prägten Paul und Myrtha Stark-Schwörer, zusammen mit ihrem Sohn Paul Stark jun. und dessen Frau Astrid als tüchtige Geranten und spätere Besitzer das Tivoli für lange Zeit. Sie sind vielen in Erinnerung geblieben als energische und tatkräftige Gastgeber; sie betrieben daneben auch noch das Hotel Cristallo in Arosa. In Schlieren wurde das Kinogeschäft aufgegeben; 1966 wurden im Saal 60 Zimmer eingebaut. Nach dem plötzlichen Tod des Seniorchefs 1976 folgte eine wechselhafte Zeit. 1980 übernahm die Familie das Haus als Besitzer. Auch Paul Stark jun. starb sehr jung (1982), und Myrtha Stark führte nun den Betrieb bis 1990 allein weiter.

Während zehn Jahren übernahmen nun die Hoteliers Hans Deneke und Rainer Hüni die Pacht. Sie schlossen das öffentliche Restaurant und behielten es den Hotelgästen vor. Anschliessend, im Jahr 2002, bestanden seitens des Kantons sogar Pläne, aus dem Komplex ein Asylanten-Durchgangsheim zu machen. Dieses Vorhaben scheiterte aber am Widerstand aus der Bevölkerung; die Öffentlichkeit, die nahe Schule und auch die Schlieremer Behörden waren völlig überrascht worden.

Aus dem Dornröschenschlaf erweckt
Dass das Tivoli wieder zu einer Erfolgsgeschichte wurde, hat mit dem familiären Hintergrund der neuen Besitzer zu tun. «Wenn ich mir so überlege, wie stark sich dieses Schlieren in den letzten Jahren zum Guten verändert hat, so widerspiegelt unser Haus ja auch den Wandel des Limmattals – und dieses Gedeihen und den Stolz geben wir ein bisschen zurück», sagt Frau Di Liberto, die Hotelière.

Im Jahr 2005 erwarb die Basler Familie Budak das Hotel. Für den Sohn Ibrahim Budak erfüllte sich ein Traum: Er war im Aargau ein sehr erfolgreicher Gastronom gewesen, hatte lange ein passendes Objekt gesucht und wollte aus dem Tivoli wieder eine erstklassige Adresse machen. In den nächsten Jahren wurde innen und aussen viel investiert, rastlos umgebaut und alles auf den neusten Stand gebracht. Eine Herkulesarbeit, und alles bei laufendem Betrieb! Doch 2010 starb Ibrahim. Man stand vor der Frage: Wie weiter?

Es war der Familie ein Anliegen, das Haus im Sinne und im Andenken des Sohnes weiterzuführen, und so stieg seine Schwester, Filiz Di Liberto, ein. Wieder ein Kraftakt – denn die neue Hotelière kam gar nicht aus der Branche. Dank gelebter Gastfreundschaft und dem Bemühen um persönlichen Kontakt mit den Gästen gelang es, das Tivoli zu einem Haus zu machen, wo man sich wohlfühlt. Das Hotel wird auf hohem 3*-Niveau geführt und ist stolz auf das Erreichte und auf treue Gäste. Die Bewertungen im Internet, durchwegs positiv, belegen deren Zufriedenheit. Mit den immerhin zwölf langjährigen Angestellten besteht ein familiäres Verhältnis, auch deshalb steuert der Familienbetrieb in ruhigen Gewässern. Man darf wohl sagen, dass das Haus in jeder Beziehung eine Visitenkarte für die Stadt ist.

Die gute Lage beim nahen Biotec-Cluster und die Anbindung an die kommende Limmattal-Bahn tragen zu den guten Aussichten für die Zukunft bei. Doch an ein Ausruhen ist nicht zu denken.
Die Familie schaut in die Zukunft: Es sind weitere 15 Business-Zimmer, mit 4*-Standard, geplant, und die andern Räume erhalten ein Face-Lifting.

 

Text: Philipp Meier, Foto: ZVG

 

 

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