Toni Brühlmann-Jecklin, Ex-Stadtpräsident von Schlieren, befürwortet trotz Widerstand in der betroffenen Bevölkerung auch den Bau der 2. Etappe der Limmattalbahn ab Schlieren nach Killwangen-Spreitenbach. Ein Verzicht auf diese Etappe käme «einem ziemlichen planerischen und finanziellen Fiasko» gleich, sagt er im Interview mit dem «Schlieremer».
Schlieremer: Herr Brühlmann, die Stadt Schlieren hat in der kantonalen Volksabstimmung vom November 2015 den Bau der Limmattalbahn mit 57 % Nein-Stimmen abgelehnt. Jetzt sind Sie Co-Präsident des Komitees «Nein zur halben Limmattalbahn», das die Volksinitiative «Stoppt die Limmattalbahn – ab Schlieren» bekämpft, die am 23. September zur Abstimmung kommt. Zur Wiederwahl als Stadtpräsident sind Sie dieses Jahr nicht mehr angetreten. Können Sie nun, da Sie keine politische Verantwortung mehr tragen, auch gegen den Willen der Mehrheit der Schlieremer politisieren?
Herr Brühlmann: Von Anfang an haben sich der Stadtrat von Schlieren – wie auch die übrigen Stadt- und Gemeinderäte im Limmattal – für den Bau der Limmattalbahn eingesetzt. Es entspricht unserem politischen System, dass ein Projekt von der Regierung vorbereitet und schliesslich vom Volk angenommen oder abgelehnt wird. Die Exekutive hat das erste Wort, das Volk das letzte. Insofern ist es nicht aussergewöhnlich, dass unsere direkt betroffene Bevölkerung gegenüber dem Kanton anders entschieden hat. Bei der Abstimmung über die Initiative «Stoppt die Limmattalbahn», bei der es um den Verzicht auf den Bau der 2. Etappe der Limmattalbahn geht, haben wir eine völlig neue Ausgangslage. Ich bin überzeugt, dass bei dieser Abstimmung auch die Bevölkerung des Limmattals ein wuchtiges Nein in die Urne legen wird und damit den Bau der 2. Etappe ermöglicht, einfach weil eine halbe Limmattalbahn keinen Sinn macht. Deshalb begleite ich das Projekt auch noch in der anstehenden zweiten Abstimmung als Co-Präsident des Komitees «Nein zur halben Limmattalbahn».
Schlieremer: Welche Gründe sprechen dafür, ein Projekt, das die Steuerzahler 755 Millionen Franken kostet, trotz grossem Widerstand in der direkt betroffenen Bevölkerung im Limmattal und in Schlieren ganz zu realisieren – also inklusive 2. Etappe von Schlieren über Dietikon nach Killwangen-Spreitenbach?
Herr Brühlmann: Die Antwort ist einfach: Wir haben eine Abstimmung gehabt, die ein klares Ja zum gesamten Projekt ergab. Jetzt geht es um die 2. Etappe. Es wäre ein ziemliches planerisches und finanzielles Fiasko – auch wenn man die Situation gerade in Schlieren anschaut – wo die 1. Etappe jetzt langsam fertig wird, wenn wir auf die Fortsetzung verzichten würden. Es wäre dann nicht mehr eine Limmattalbahn, sondern nur noch eine Verlängerung des Zweiertrams von Zürich- Altstetten nach Schlieren. Das würde nicht dem Willen des kantonalen Stimmvolkes und wohl auch nicht dem des Limmattals entsprechen.
Schlieremer: Ein wichtiger Grund für die Ablehnung der Limmattalbahn in der Region ist, dass viele Leute Angst vor einem überbordenden Wachstum im Limmattal und in Schlieren haben. Was antworten Sie diesen Leuten?
Herr Brühlmann: Dafür habe ich ein gewisses Verständnis. Das Limmattal und Schlieren haben in den vergangenen Jahren ein kräftiges Wachstum erlebt. Dieses Wachstum hat aber ohne Limmattalbahn stattgefunden. Und das Wachstum geschieht zudem nicht unkontrolliert, sondern im Rahmen von kantonalen, regionalen und kommunalen Richtplänen. Diese legen fest, wo und wie dieses Wachstum erfolgen soll. Die Richtpläne wollen dabei sicherstellen, dass es den Menschen im Limmattal auch in Zukunft noch wohl ist. Ganz wichtig ist auch, dass es nicht nur um Wachstum geht, sondern auch um Erneuerung. In Schlieren erleben wir das momentan so, dass dort, wo die Limmattalbahn gebaut wird, Gebäude, die schon etwas in die Jahre gekommen sind, saniert werden.
Schlieremer: Die Limmattalbahn soll helfen, das Zentrum Schlierens vom motorisierten Individualverkehr zu entlasten. Könnte das nicht auch anders als mit einer Bahn erreicht werden?
Herr Brühlmann: Realität ist, dass das Zentrum Schlierens während vieler Jahre sehr stark vom motorisierten Individualverkehr belastet war. Dabei hat die Stadt nach Lösungen gesucht, wie das verändert werden könnte. Mir ist bis jetzt kein anderer Ansatz bekannt, als dass man versucht, den motorisierten Individualverkehr zumindest teilweise auf den öffentlichen Verkehr umzulagern. Dazu bietet die Limmattalbahn die besten Voraussetzungen.
Schlieremer: Von Schlieren über Dietikon bis Killwangen- Spreitenbach fährt heute ein Bus. Die gleiche Strecke wird auch noch von der S-Bahn bedient. Warum genügt das nicht und braucht es die Limmattalbahn?
Herr Brühlmann: Das reicht nicht, weil der Bus und der motorisierte Individualverkehr sich den gleichen Strassenraum teilen müssen. Das führt in einer bereits überlasteten Situation zu Problemen: Die Busse bleiben im Strassenverkehr stecken und können Anschlüsse an die S-Bahn nicht mehr gewährleisten. Dadurch gerät der ganze Takt des öffentlichen Verkehrs durcheinander. Als Verkehrsteilnehmer entscheide ich mich nur für den öffentlichen Verkehr, wenn ich mich auf den Fahrplan verlassen kann. Das bedingt, dass motorisierter Individualverkehr und öffentlicher Verkehr so weit wie möglich getrennt geführt werden. Die Limmattalbahn fährt deshalb über weite Strecken in ihrem eigenen Trassee.
Schlieremer: Der Bau der Limmattalbahn ist während mehrerer Jahre mit viel Lärm und einschneidenden Verkehrsbeschränkungen verbunden. Das zeigt sich zurzeit im Zentrum und im Osten Schlierens. Käme die 2. Etappe, wäre von den Bauarbeiten auch der Westen der Stadt betroffen. Das sorgt in der breiten Bevölkerung für Unmut und bei den betroffenen Gewerbetreibenden für Existenzängste. Was sagen Sie diesen Leuten?
Herr Brühlmann: Es lässt sich nicht wegdiskutieren, dass Baustellen in solchen Dimensionen Auswirkungen auf die Umgebung haben. Das ist aber auch der Fall bei anderen Baustellen, die nichts mit der Limmattalbahn zu tun haben. Beispiele sind der Neubau der Schönenwerdbrücke zwischen Schlieren und Dietikon oder rechts der Limmat die Sanierung der Limmattalstrasse zwischen Geroldswil und Oetwil. Es lässt sich nicht verhindern, dass im öffentlichen Raum von Zeit zu Zeit solche Grossbaustellen entstehen. Was die Limmattalbahn betrifft, versuchen wir die Bauzeit so kurz wie möglich zu halten und Zugänge zu Häusern und Geschäften jederzeit zu gewährleisten, so dass die Auswirkungen möglichst klein bleiben.
Schlieremer: Die Linienführung der Limmattalbahn im Spitalquartier ist umstritten. Was wären die Alternativen gewesen? Lässt sich das nicht mehr ändern?
Herr Brühlmann: Über das Projekt als Ganzes ist abgestimmt worden. Die Linienführung steht damit fest. Es ist ausgeschlossen, sie jetzt noch zu verändern. Wir als Stadt Schlieren haben die Linienführung im Spitalquartier intensiv diskutiert und dabei auch einen runden Tisch veranstaltet. Wir haben also alle demokratischen Instrumente eingesetzt, um zusammen mit der Bevölkerung die richtige Lösung zu finden. Das was jetzt vorliegt, ist das Ergebnis dieses Prozesses. Daran kann nichts mehr geändert werden, wenn auch im Detail durchaus noch gewisse Anpassungen möglich sind und geprüft werden.
Text und Foto: Martin Gollmer