Nach 22-jähriger Tätigkeit tritt Eliane Graf im Verlauf dieses Jahres als Friedensrichterin von Schlieren zurück. Der «Schlieremer» wirft im Interview mit ihr einen Blick auf das weitgehend unbekannte, aber anspruchsvolle Amt und die Veränderungen, die in dieser Zeit eingetreten sind.
Schlieremer: Frau Graf, was macht eine Friedensrichterin?
Eliane Graf: Eine Friedensrichterin vermittelt in sämtlichen Zivilstreitigkeiten mit einigen Ausnahmen, welche in der Zivilprozessordnung geregelt sind…
Schlieremer: …zu den Ausnahmen gehören Scheidungen.
Eliane Graf: Für Scheidungen sind wir nicht mehr zuständig.
Schlieremer: Was unterscheidet eine Friedensrichterin von einem Richter an einem ordentlichen Gericht?
Eliane Graf: Wir sind wahrscheinlich mehrheitlich nicht studierte Juristen. Wir begründen Entscheide oft nicht derart juristisch wie ein Gericht. Wir sind Einzelämter – treffen unsere Entscheide also nicht im Gremium. Wir haben keinen Gerichtsschreiber und keine Sekretärin. Wir sind alleine verantwortlich.
Schlieremer: Wären juristische Kenntnisse nicht aber wichtig für eine Friedensrichterin?
Eliane Graf: Das wäre sicher von Vorteil, etwa Kenntnisse des Obligationenrechts, des Zivilgesetzbuches und des Schuld- und Konkursgesetzes wären wichtig.
Schlieremer: Welche anderen Fähigkeiten neben juristischen braucht eine Friedensrichterin?
Eliane Graf: Sie muss auf jeden Fall eine ausgeglichene Person sein. Ein hitziger Choleriker, welcher eher selber Öl ins Feuer giesst, ist wohl für das Amt eher ungeeignet. Man muss gut zuhören und vermitteln können. Es braucht Empathie und Sozialkompetenz. Gefragt sind auch Menschenkenntnisse. Weiter gehören Berufserfahrung und Lebensreife dazu.
Schlieremer: Gibt es eine Ausbildung zur Friedensrichterin?
Eliane Graf: Mittlerweile gibt es im schweizerischen Verband der Friedensrichter einen Lehrgang mit Zertifikatsabschluss (CAS, Certificate of Advanced Studies). Das ist eine längere berufsbegleitende Ausbildung. Der kantonal zürcherische Verband bietet zudem immer wieder Weiterbildungskurse zum allgemeinen Recht, zur Zivilprozessordnung, zur Amtsführung bis hin zu mediativ vermittelnden Fähigkeiten an. Diese Kurse dauern mitunter mehrere Tage.
Schlieremer: Soll eine Friedensrichterin politisch unabhängig sein?
Eliane Graf: Ja.
Schlieremer: Mitglieder von Parteien sind also nicht geeignet als Friedensrichterin?
Eliane Graf: Das schliesst das nicht aus – aber das Amt des Friedensrichters erfordert eine absolute Neutralität.
Schlieremer: Was sind typische Fälle, die eine Friedensrichterin behandelt?
Eliane Graf: Zur Hauptsache sind es allgemeine Forderungsklagen. Hier geht es etwa um Kaufverträge, welche heute vermehrt via Internet abgeschlossen werden. Oder um Werkverträge, etwa Autoreparaturen oder Hausbauten und Renovationen, bei denen Mängel aufgetreten sind. Aber auch Honorarstreitigkeiten bei einfachen Aufträgen, z.B. die Gestaltung einer Homepage, unbezahlten Arzt-, Treuhand- oder Anwaltshonoraren gehören dazu. Ein grosser Teil der Fälle betrifft sodann das Arbeitsrecht. Hier kann es um mangelhaft oder gar nicht bezahlte Löhne oder Spesen gehen oder um Streitigkeiten über die Formulierung von Arbeitszeugnissen. Aus dem Zivilgesetzbuch werden u.a. Fälle aus dem Nachbarrecht oder aus Stockwerkeigentum behandelt.
Schlieremer: Behandelt eine Friedensrichterin nur Fälle bis zu einer bestimmten Streitsumme?
Eliane Graf: Nein. Die Streitsumme spielt keine Rolle. Wir behandeln auch Fälle, bei denen es um Millionen gehen kann, wie etwa Schadenersatzforderungen. Lediglich Fälle zwischen zwei juristischen Personen, bei denen die Streitsumme 30‘000 Franken übersteigt, können direkt dem Handelsgericht vorgelegt werden.
Schlieremer: Sie sind seit 22 Jahren Friedensrichterin. Was hat sich verändert in dieser Zeit?
Eliane Graf: Die Gesellschaft hat sich stark verändert – wir leben heute in einer Ego-Gesellschaft: man lebt vorab für sich und die eigenen Bedürfnisse und ist nicht mehr gewillt, Verantwortung zu übernehmen. Vermehrt fehlt es an Anstand und Respekt. Haben die Parteien früher eine Vorladung vom Friedensrichteramt bekommen, erachtete man es als selbstverständliche Pflicht pünktlich und korrekt gekleidet zum Verhandlungstermin zu erscheinen. Heute ist das mitunter ein schwieriges Thema. In der heutigen Zeit wird vieles online und am Handy erledigt, schriftliche Dokumente liegen oft nicht mehr vor. Was eine klare Beweislage dann sehr schwierig macht.
Schlieremer: Wie hat sich die Tätigkeit der Friedensrichterin verändert in diesen 22 Jahren?
Eliane Graf: Die Anforderungen sind gestiegen. Man muss sich rechtlich besser auskennen. Die Fragen an uns sind komplexer geworden. Entsprechend ist der administrative Aufwand eines Falles sehr gestiegen und macht etwa 60 Prozent aus.
Schlieremer: Sie haben früher in diesem Interview schon auf die Verbände hingewiesen. In welchen sind die Friedensrichterinnen organisiert?
Eliane Graf: Wir haben zunächst einmal den Bezirksverband. Hier findet ein reger Austausch statt, was gerade für Neulinge im Amt sehr hilfreich ist. Dann gibt es den kantonalen Verband, welcher Weiterbildungen organisiert oder Vernehmlassungen bei Gesetzesrevisionen eingibt. Schliesslich gibt es noch den schweizerischen Verband, der – wie erwähnt – die CAS-Ausbildung anbietet und an Vernehmlassungen auf eidgenössischer Ebene teilnimmt.
Schlieremer: Sie waren nicht nur einfaches Mitglied in diesen Verbänden, sondern haben auch Ämter übernommen. Welche waren das?
Eliane Graf: Im Bezirk war ich Präsidentin. Zeitgleich im Vorstand des Kantonalverbands für die Weiterbildung zuständig und war Vizepräsidentin. Später in den sehr zeitintensiven Phasen der Vernehmlassung zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, trat ich sowohl aus dem Bezirks- als auch aus dem Kantonalvorstand zurück, um als Mitinitiantin zur Gründung eines schweizerischen Verbandes mitzuwirken und war dort bis zuletzt Vizepräsidentin.
Schlieremer: Was hat Sie motiviert, neben Ihrer Tätigkeit als Friedensrichterin noch Ämter in Verbänden zu übernehmen?
Eliane Graf: Ich bin noch heute eine absolut überzeugte Friedensrichterin – mit viel Herzblut. Ich finde dieses Amt noch immer eine sehr gute und wichtige Institution. Unter anderem auf Bundesebene bei einem eidgenössischen Gesetz etwas mitzuwirken, war faszinierend. Ein Prozess ist oft langwierig und teuer. Deshalb macht es Sinn, schon auf unserer Stufe eine Einigung zu finden, was viel kostengünstiger und effizienter ist.
Schlieremer: Was kostet denn eine Schlichtung bei Ihnen?
Eliane Graf: Das richtet sich nach dem Streitwert: der niedrigste Tarif liegt bei 65 Franken, der Höchste bei 1240 Franken bei einem Streitwert ab 100‘000 Franken.
Schlieremer: Was waren die Höhepunkte in Ihrer 22-jährigen Karriere als Friedensrichterin?
Eliane Graf: Es gab nicht einen absoluten Höhepunkt. Was mich jedoch stets befriedigte war, wenn ich zwischen und mit den Streitparteien eine Einigung finden konnte, diese wieder aufeinander zugehen und sie sich wieder die Hand geben konnten. Auch Anerkennung, Lob oder ein aufrichtiges Danke von Juristen, Anwälten oder ranghohen Firmenchefs haben mich immer sehr gefreut.
Schlieremer: Gab es auch Tiefpunkte?
Eliane Graf: Tragische Lebensgeschichten der Streitparteien haben mich manchmal betroffen gemacht. Wenn sich für jemand ein Abgrund auftat nach einer Lebenskrise oder bei Scheidungen mit häuslicher Gewalt oder wenn Kinder unter dem Zwist der Eltern gelitten haben.
Schlieremer: Muss man sich abgrenzen können in diesem Amt?
Eliane Graf: Ja, das muss man können. Man muss die Fälle als Geschichten der Streitparteien betrachten können. Sonst kann man dieses Amt nicht längere Zeit ausüben. Man muss einen Konflikt, ein Thema stets ernst nehmen und sich einfühlen können, aber mit nach Hause nehmen darf man es nicht.