Die sehr niedrige Stimm- und Wahlbeteiligung in Schlieren beschäftigt auch die Politik. Zwar hat das Gemeindeparlament ein Postulat von Andres Uhl (Die Mitte), in dem er den Stadtrat auffordert, Möglichkeiten zur Verbesserung der Situation zu prüfen, nach der Antwort der städtischen Exekutive als erledigt abgeschrieben. Aber die Parteien bleiben am Ball. Auf Initiative Uhls hin diskutieren sie zurzeit gemeinsame Massnahmen zur Hebung der Beteiligung an den Gemeindewahlen 2022.
Schlieren weist eine sehr niedrige Stimm- und Wahlbeteiligung auf. Meistens beträgt sie zwischen 20 und 30 Prozent – egal, ob es sich um kommunale, kantonale oder nationale Themen handelt. Sie ist damit eine der niedrigsten im Kanton Zürich, ja in der ganzen Schweiz. Das treibt Andres Uhl um. Er ist Gemeindeparlamentarier und Präsident von Die Mitte Schlieren. Er hat deshalb im Mai des vergangenen Jahres ein Postulat eingereicht, in dem er und 14 Mitunterzeichner den Stadtrat auffordern, «zu prüfen, wie die tiefe Stimm- und Wahlbeteiligung in der Stadt Schlieren verbessert werden kann».
Der Stadtrat hat – mit einiger Verspätung – im Mai dieses Jahres schriftlich geantwortet. Er sagt in seiner Antwort im Wesentlichen, dass die Möglichkeiten der städtischen Exekutive von Gesetzes wegen eingeschränkt sind – nicht zuletzt, weil das Teilnehmen an Abstimmungen und Wahlen ein Recht und keine Pflicht ist. Der Stadtrat sei zudem gesetzlich verpflichtet, vollständig, sachlich, transparent und verhältnismässig zu informieren. Zwischen spannend aufbereiteter Information der Stimmberechtigten und politischer Propaganda bestehe dabei nur ein schmaler Grat. Deshalb beschränkten sich die in Frage kommenden Massnahmen des Stadtrats zur Verbesserung der Stimm- und Wahlbeteiligung in der Regel auf das Schaffen von Möglichkeiten, sich über Themen zu informieren.
Der Stadtrat weist in seiner schriftlichen Antwort auf das Postulat Uhl darauf hin, dass er die Möglichkeiten zur Information in den Printmedien bereits weitegehend nutzt. Als erfolgversprechend beurteilt er Informationen in den sozialen Medien – nur fehlten ihm dazu zurzeit die personellen und finanziellen Ressourcen. Öffentliche Informationsveranstaltungen unter Einbezug des Gemeindeparlaments und der örtlichen Parteien würden vereinzelt bereits durchgeführt, könnten aber künftig noch vermehrt organisiert werden.
Jugendliche für die Politik sensibilisieren
Wichtig sei es vor allem, Jugendliche und junge Erwachsene zur aktiven Teilnahme an der Politik zu bewegen, schreibt der Stadtrat in seiner Antwort auf das Postulat Uhl. Er regt deshalb an, dass Gemeindeparlamentarier die bereits existierenden Jungendparlamente in den Schlieremer Schulen besuchen und begleiten. So könnten auch erste Kontakte zu den Parteien geknüpft werden. Überdies empfiehlt er, dass vergleichbare Beziehungen zu den Schlieremer Lehrbetrieben aufgebaut werden. Viele Menschen, die in ihrem Leben zum ersten Mal abstimmen oder wählen dürften, befänden sich zu diesem Zeitpunkt in der Lehre, lautet die Argumentation des Stadtrats.
Ursachen für die niedrige Stimm- und Wahlbeteiligung in Schlieren benennt der Stadtrat in seiner schriftlichen Antwort auf das Postulat Uhl nicht. Diese lieferte Stadtpräsident Markus Bärtschiger (SP) mündlich in der Sitzung des Gemeindeparlaments vom 7. Juni nach. Er machte drei Ursachen aus: eine im Vergleich zum übrigen Kanton Zürich junge Bevölkerung, ein hoher Anteil von Menschen mit geringer Bildung und überdurchschnittlich viele Schweizerinnen und Schweizer mit Migrationshintergrund. All diese Gruppen tendierten dazu, sich weniger häufig an Abstimmungen und Wahlen zu beteiligen als die übrige Bevölkerung.
In einem grossen Teil seiner übrigen mündlichen Antwort auf das Postulat Uhl ging Bärtschiger auf die Möglichkeiten zur Verbesserung der Stimm- und Wahlbeteiligung in Schlieren ein, die der Postulant bereits in seinem Vorstoss stichwortartig erwähnt hatte: Ein Ausbau der Online-Kommunikation und der Informationen über soziale Medien werde diskutiert; Easyvote einführen sei bereits 2015 geschehen; Neuzuzügerinnen und Neuzuzüger aktiv abholen werde schon gemacht; eine Aktivierung der Jungbürgerfeier zu diesem Zweck sei wenig erfolgversprechend, da zu wenige Junge daran teilnehmen würden; eine regelmässige Teilnahme an Abstimmungen und Wahlen zu belohnen sei nicht möglich, weil es aufgrund des Stimmgeheimnisses nicht zulässig sei zu erheben, wie oft eine stimmberechtigte Person an Urnengängen teilnehme; Politiktage an Schulen sollten zurückhaltend abgehalten werden, weil nur Staatskunde gemacht werden dürfe und nicht Politik.
Der Stadtrat in seiner schriftlichen Antwort und Stadtpräsident Bärtschiger in seiner mündlichen Antwort empfahlen dem Gemeindeparlament, das Postulat Uhl damit als erledigt abzuschreiben. Das Gemeindeparlament folgte dieser Empfehlung mit Mehrheit.
Politiker Uhl gibt sich nicht zufrieden
Postulant Uhl zeigt sich im Gespräch mit dem «Schlieremer» enttäuscht und unzufrieden über dieses Schicksal seines Vorstosses. Zwar sei ihm klar gewesen, dass auch der Stadtrat keine Patentrezepte bereit habe, wie man die Beteiligung an Urnengängen in Schlieren erhöhen könne. Aber er hätte wenigstens erwartet, dass man der Sache auf den Grund gehe und ein Forschungsinstitut damit beauftrage abzuklären, warum gerade in Schlieren die Stimm- und Wahlbeteiligung so tief sei. Dann könne man auch zielgenaue Massnahmen ergreifen. Auch hätten der Stadtrat und Bärtschiger in ihren Antworten auf das Postulat bei den Massnahmen zur Verbesserung der Situation mehr Mut beweisen können.
Uhl weiss, dass bei diesem Thema auch die Parteien in der Verantwortung stehen. Er hat deshalb bereits bevor die Antworten von Stadtrat und Stadtpräsident Bärtschiger vorlagen die Präsidentinnen und Präsidenten der Schlieremer Parteien angeschrieben mit der Bitte, mit ihm zu diskutieren, was man gemeinsam machen könnte, um die Beteiligung an den Gemeindewahlen im nächsten Jahr spürbar zu erhöhen. In der Zwischenzeit haben sich die Parteipräsidien zu diesem Thema bereits zweimal ausgetauscht und Ideen erörtert. Bereits beschlossen ist, das offizielle Kuvert mit den Wahlinformationen, das an alle Wahlberechtigten verschickt wird, mit den Logos der Parteien zu versehen. Damit wolle man der Bevölkerung vermitteln, dass alle Parteien gemeinsam an den Wahlen mitmachen, sagt Uhl.
Noch an weiteren Treffen besprochen und definitiv beschlossen werden müssten eine gemeinsame Wahlveranstaltung auf der Pischte 52 mit Informationsständen der Parteien; Plakate mit allen Köpfen, die an den Wahlen teilnehmen, auf der Pischte 52 oder dem Stadtplatz aufstellen, um die Bevölkerung darauf aufmerksam zu machen, dass Wahlen stattfinden; Plakate aushängen, auf denen die Stimmberechtigten aufgefordert werden, an den Wahlen teilzunehmen, sowie öffentliche Podiumsgespräche zu den Wahlen. «Wir wollen mit diesen Massnahmen keinen Wahlkampf machen, sondern die Bevölkerung von Schlieren aufrufen, bei den Wahlen an die Urne zu gehen», sagt Uhl. Den Wahlkampf mache dabei aber jede Partei nach wie vor selber.
Uhls Initiative hat den Namen «Schliere wählt» in Analogie zum erfolgreichen Slogan «Schliere lacht» für das alle vier Jahre in der Stadt stattfindende mehrtägige Schlierefäscht. Ziel sei es, mit den gemeinsamen Massnahmen der Parteien eine Wahlbeteiligung von 35 bis 40% zu erreichen.
Text: Martin Gollmer, Bild: zVg